(Dieser bearbeitete Text erschien in „FREUNDIN“)
Früher Abend, Feierabend. In der Penthouse-Bar des Hotels Dom Henrique tragen die Besucher helle Anzüge und Sommerröcke, ein rosaroter Longdrink namens Hibiscus Gin Fizz wird gereicht. Das Mobiliar aus eleganten Bücherregalen und Cocktailsesseln erinnert an die frühen Sechziger Jahre, der Blick über Porto wirkt therapeutisch. Siebzehn Stockwerke weiter unten macht sich die Stadt für die Nacht bereit. Lichtscheue Gassen wirken jetzt noch schmaler, die Boulevards verwaisen und die Luft wird kühler. „Wissen Sie“, sagt ein Herr an der Bar, „es muss nicht immer Lissabon sein.“ Das ist richtig. Porto macht seine Sache ziemlich gut.
Jetzt nochmal raus und in der Sandwich-Bar Lado B. ein Francesinha bestellen. Der Käsetoast mit Fleisch und Bratensoße gehört zu Porto wie die Rostbratwurst zu Nürnberg, und schmeckt – gut gemacht – zumindest nahrhaft. Ein stabiler Magen ist nicht von Nachteil, das Ding liefert eine solide Grundlage für lange portugiesische Nächte.
Porto am Abend bietet neben Hibiskusdrinks und Toastkreationen viele bunte Neonlichter, Möwengekreisch, Wäscheflattern und immer wieder Meerluft, die vom Atlantik herüberschwappt. In Ribeira schenken Barkeeper jetzt Burmester-Wein und das lokale Bier Superbock aus. Für Hopfenhipster gibt es im Letraria aber auch fünfzig Sorten Craft Beer und das Xico Queijo nahe der Universität mixt Sangria aus Rosé, Gurke und Weintrauben. Bis sieben Uhr morgens haben die Clubs geöffnet, von der Fado-Lagerhalle bis zum Electroswing-Treffs Indústria. Um zwei Uhr nachts öffnet das Relikt aus den Achtzigern, Chef ist eine lokale Berühmtheit. Berghain bei Wish bestellt, behaupten böse Zungen. Ganz so schlimm ist es aber nicht.
Und auch am nächsten Tag will Porto ein bisschen Berlin, ein bisschen Brooklyn sein, mit vielen Studenten, barfuß, busy und kunstverliebt. Das Museum Serralves könnte auch in New York stehen, Stararchitekt Álvaro Siza Vieira entwarf es zwischen Atlantikküste und Zentrum als reinweißen XL-Bungalow aus Licht, Luft und Glas. Moderne Kunst schmiegt sich hier in eine Parklandschaft Zypressen, Palmen und Kamelien.
Folgt man von hier aus dem Flußlauf des Douro in Richtung Stadt, gelangt man am Nordufer wieder nach Riberia, das tagsüber als historisches Zentrum wieder ganz Postkartenmotiv ist: aufeinandergestapelte Häuser, Hafen-Bars und streunende Katzen. Check.
Am Südufer gegenüber liegt der Stadtteil Vila Nova de Gaia. Hier sind die großen Portwein-Hersteller zuhause, über 50 uralte Weinkeller und eine Seilbahn die träge über die Uferpromenade schaukelt. Man kann im schicken „Porto Cruz“ einkehren und auf der Dachterrasse mit Traumblick fangfrischen Oktopus zu lokalen Weinen verkosten. Beide Ufer verbindet die Wahrzeichen-Brücke „Dom Luis I.“
Flussabwärts mündet der Douro in den Atlantik. Die U-Bahn fährt in zwanzig Minuten an Stadtstrände wie den „Praia de Matosinhos“, eine Fahrt kostet 1,50 Euro. Ein Surf-Brett plus Neoprenanzug kann man am Praia für 15 Euro zwei Stunden lang mieten. Individuelles Sightseeing bietet eine Fahrt in der hübschen Museumsstraßenbahn. Die LInie 22 schaukelt in einer halben Stunde für 3 Euro durch Portos Zentrum, von Batalha-Guindais nach Carmo und zurück.
Straßenbahn – check, Historie – check, fehlt nur noch: Kaffee! In Porto schmeckt er nussig, rauchig und stark. Zum Frühstück reicht den meisten ein „Pingo“ (kleiner Milchkaffee) zum Pastel de Nata, einem dunkel gebackenen Puddingküchlein, das in Schachteln auch als Mitbringsel verkauft wird.
Wer seinen Pingo in einem der vielen Straßencafes von Riberia nimmt, bekommt dazu Straßenbahnen, die gekonnt an den Tischen vorbeiquietschen und um die Ecke den Livraria Lello, das berühmteste Geschäft der Stadt. Ein Buchladen mit eigenem Türsteher, Fanclub und Pressesprecher. Der Lello ist kein normaler Shop, eher eine Literatur-Kathedrale. Holzvertäfelungen wurden restauriert, es riecht nach Harz und Papier, von oben dringt diffus Licht durch Buntglas. 1869 wurde der Laden in der Rua das Carmelitas eröffnet, mit neogotischer Fassade und einer Innenausstattung im Jugendstil. Als die Harry-Potter-Autorin JK Rowling Anfang der Neunziger Jahre in Porto lebte, fand sie hier die Inspiration zum ersten Harry-Potter-Band. Heutzutage gibt es Eintrittstickets für drei Euro, kauft man ein Buch, wird der Betrag wieder abgezogen. Offiziell wird der Lello hinter Läden in Buenos Aires und Maastricht als „drittschönster Buchladen der Welt“ geführt.
Zehn Minuten Fußmarsch entlang der Rua da Carmelitas noch so ein Hingucker: Der Bahnhof São Bento ist ein Gesamtkunstwerk aus Eisenträgern und Fliesen. Die historischen Hallen sind seit 1916 in Betrieb, und immer noch warten Züge und Reisende, während Touristen vor allem die historischen Kacheln fotografieren. Azulejos heißen die blauweißen Fliesenbilder, Monumente, Hausfassaden und Kirchen werden mit ihnen geschmückt, im „São Bento“ erzählen über 20.000 Azulejos vom 14. Jahrhundert, von der Hochzeit des König João I und Heinrich dem Seefahrer.
Die monumentalen Bilder sind faszinierend, und wer nicht genug bekommen kann läuft in elf Minuten über die Rua de Sá da Bandeira zur Capela das Almas, der „Kirche der verlorenen Seelen“. Sie thront zwischen der Bummelmeile Rua das Flores und den Marktständen des Mercado do Bolhão. Über und über mit Azulejos bedeckt, zeigt sie Szenen aus dem Leben von Franz von Assisi und der Heiligen Catarina. Es dürfte wohl kaum einen besseren Ort geben, um mit dem da oben zu verhandeln.
Porto, zum Verlieben schön? Könnte sein. Einen kleinen Beweis liefert auch ein Kinofilm, den man immer wieder gucken kann. „Porto“, mit dem viel zu früh verstorbenen Anton Yelchin, erzählt eine Liebesgeschichte zwischen Mann, Frau und Stadt. Mit Patina, Morgennebel und dem ewigen Geschrei der Möwen liefert Porto die melancholische Kulisse. Regisseur Gabe Klinger über seinen Drehort: „Porto ist eine Großstadt, aber auch intim. Sie keltert schweren Portwein, hat aber einen leichten Gang und viel bittersüße Melancholie. Sie ist, ganz einfach, eine perfekte Leinwand.“