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Porto: Pingo und Penthouse

Porto: Pingo und Penthouse

(Dieser bearbeitete Text erschien in „FREUNDIN“)

Früher Abend, Feierabend. In der Penthouse-Bar des Hotels Dom Henrique tragen die Besucher helle Anzüge und Sommerröcke, ein rosaroter Longdrink namens Hibiscus Gin Fizz wird gereicht. Das Mobiliar aus eleganten Bücherregalen und Cocktailsesseln erinnert an die frühen Sechziger Jahre, der Blick über Porto wirkt therapeutisch. Siebzehn Stockwerke weiter unten macht sich die Stadt für die Nacht bereit. Lichtscheue Gassen wirken jetzt noch schmaler, die Boulevards verwaisen und die Luft wird kühler. „Wissen Sie“, sagt ein Herr an der Bar, „es muss nicht immer Lissabon sein.“ Das ist richtig. Porto macht seine Sache ziemlich gut.

Porto vom Hotel Dom Henrique gesehen.

 

Jetzt nochmal raus und in der Sandwich-Bar Lado B. ein Francesinha bestellen. Der Käsetoast mit Fleisch und Bratensoße gehört zu Porto wie die Rostbratwurst zu Nürnberg, und schmeckt – gut gemacht – zumindest nahrhaft. Ein stabiler Magen ist nicht von Nachteil, das Ding liefert eine solide Grundlage für lange portugiesische Nächte.

Porto am Abend bietet neben Hibiskusdrinks und Toastkreationen viele bunte Neonlichter, Möwengekreisch, Wäscheflattern und immer wieder Meerluft, die vom Atlantik herüberschwappt. In Ribeira schenken Barkeeper jetzt Burmester-Wein und das lokale Bier Superbock aus. Für Hopfenhipster gibt es im Letraria aber auch fünfzig Sorten Craft Beer und das Xico Queijo nahe der Universität mixt Sangria aus Rosé, Gurke und Weintrauben. Bis sieben Uhr morgens haben die Clubs geöffnet, von der Fado-Lagerhalle bis zum Electroswing-Treffs Indústria. Um zwei Uhr nachts öffnet das Relikt aus den Achtzigern, Chef ist eine lokale Berühmtheit. Berghain bei Wish bestellt, behaupten böse Zungen. Ganz so schlimm ist es aber nicht.

Und auch am nächsten Tag will Porto ein bisschen Berlin, ein bisschen Brooklyn sein, mit vielen Studenten, barfuß, busy und kunstverliebt. Das Museum Serralves könnte auch in New York stehen, Stararchitekt Álvaro Siza Vieira entwarf es zwischen Atlantikküste und Zentrum als reinweißen XL-Bungalow aus Licht, Luft und Glas. Moderne Kunst schmiegt sich hier in eine Parklandschaft  Zypressen, Palmen und Kamelien.

Blick von oben in den Workspace im Museum Serralves

 

Folgt man von hier aus dem Flußlauf des Douro in Richtung Stadt, gelangt man am Nordufer wieder nach Riberia, das tagsüber als historisches Zentrum wieder ganz Postkartenmotiv ist: aufeinandergestapelte Häuser, Hafen-Bars und streunende Katzen. Check.

 

Am Südufer gegenüber liegt der Stadtteil Vila Nova de Gaia. Hier sind die großen Portwein-Hersteller zuhause,  über 50 uralte Weinkeller und eine Seilbahn die träge über die Uferpromenade schaukelt. Man kann im schicken „Porto Cruz“ einkehren und auf der Dachterrasse mit Traumblick fangfrischen Oktopus zu lokalen Weinen verkosten. Beide Ufer verbindet die Wahrzeichen-Brücke „Dom Luis I.“

Vila Nova de Gaia mit Portwein-Fabrik „Sandeman“ und Seilbahn. Links die Brücke Dom Luis I.

Flussabwärts mündet der Douro in den Atlantik. Die U-Bahn fährt in zwanzig Minuten an Stadtstrände wie den „Praia de Matosinhos“, eine Fahrt kostet 1,50 Euro. Ein Surf-Brett plus Neoprenanzug kann man am Praia für 15 Euro zwei Stunden lang mieten. Individuelles Sightseeing bietet eine Fahrt in der hübschen Museumsstraßenbahn. Die LInie 22 schaukelt  in einer halben Stunde für 3 Euro durch Portos Zentrum, von Batalha-Guindais nach Carmo und zurück.

Straßenbahnlinie 22 auf dem Weg nach Carmo.

Straßenbahn – check, Historie – check, fehlt nur noch: Kaffee! In Porto schmeckt er nussig, rauchig und stark. Zum Frühstück reicht den meisten ein „Pingo“ (kleiner Milchkaffee) zum Pastel de Nata, einem dunkel gebackenen Puddingküchlein, das in Schachteln auch als Mitbringsel verkauft wird.

Ein Pingo zu Pastel de Nata und Mini-Eclair.

Wer seinen Pingo in einem der vielen Straßencafes von Riberia nimmt, bekommt dazu Straßenbahnen, die gekonnt an den Tischen vorbeiquietschen und um die Ecke den Livraria Lello, das berühmteste Geschäft der Stadt. Ein Buchladen mit eigenem Türsteher, Fanclub und Pressesprecher. Der Lello ist kein normaler Shop, eher eine Literatur-Kathedrale. Holzvertäfelungen wurden restauriert, es riecht nach Harz und Papier, von oben dringt diffus Licht durch Buntglas. 1869 wurde der Laden in der Rua das Carmelitas eröffnet, mit neogotischer Fassade und einer Innenausstattung im Jugendstil. Als die Harry-Potter-Autorin JK Rowling Anfang der Neunziger Jahre in Porto lebte, fand sie hier die Inspiration zum ersten Harry-Potter-Band. Heutzutage gibt es Eintrittstickets für drei Euro, kauft man ein Buch, wird der Betrag wieder abgezogen. Offiziell wird der Lello hinter Läden in Buenos Aires und Maastricht als „drittschönster Buchladen der Welt“ geführt.

Reifröcke spenden Licht. Auch eine Besonderheit im „Lello“.

 

Zehn Minuten Fußmarsch entlang der Rua da Carmelitas noch so ein Hingucker: Der Bahnhof São Bento ist ein Gesamtkunstwerk aus Eisenträgern und Fliesen. Die historischen Hallen sind seit 1916 in Betrieb, und immer noch warten Züge und Reisende, während Touristen vor allem die historischen Kacheln fotografieren. Azulejos heißen die blauweißen Fliesenbilder, Monumente, Hausfassaden und Kirchen werden mit ihnen geschmückt, im „São Bento“ erzählen über 20.000 Azulejos vom 14. Jahrhundert, von der Hochzeit des König João I und Heinrich dem Seefahrer.

Bahnhof São Bento – immer in Betrieb.

Die monumentalen Bilder sind faszinierend, und wer nicht genug bekommen kann läuft in elf Minuten über die Rua de Sá da Bandeira zur Capela das Almas, der „Kirche der verlorenen Seelen“. Sie thront zwischen der Bummelmeile Rua das Flores und den Marktständen des Mercado do Bolhão. Über und über mit Azulejos bedeckt, zeigt sie Szenen aus dem Leben von Franz von Assisi und der Heiligen Catarina. Es dürfte wohl kaum einen besseren Ort geben, um mit dem da oben zu verhandeln.

Die Capela das Almas – Kirche der verlorenen Seelen.

 

Porto, zum Verlieben schön? Könnte sein. Einen kleinen Beweis liefert auch ein Kinofilm, den man immer wieder gucken kann. „Porto“, mit dem viel zu früh verstorbenen Anton Yelchin, erzählt eine Liebesgeschichte zwischen Mann, Frau und Stadt. Mit Patina, Morgennebel und dem ewigen Geschrei der Möwen liefert Porto die melancholische Kulisse. Regisseur Gabe Klinger über seinen Drehort: „Porto ist eine Großstadt, aber auch intim. Sie keltert schweren Portwein, hat aber einen leichten Gang und viel bittersüße Melancholie. Sie ist, ganz einfach, eine perfekte Leinwand.“

Der Douro, Fluß aus Gold.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kräuter im Wallis: Der Giersch schmeckt wie Spinat!

Kräuter im Wallis: Der Giersch schmeckt wie Spinat!

 (Dieser bearbeitete Text erschien im „ADAC Reisemagazin“)

Lisa heißt die Kräuterhex von der Bettmeralp. Bloß, dass Kräuterhexen heutzutage aussehen, als könnten sie im Schweizer Parlament sitzen. Kurzhaarschnitt, Ringelshirt, Ohrstecker. Na gut, macht ja nichts. Viel wichtiger: Was tut eine Kräuterhex’ heutzutage denn so? „Naja, wahrscheinlich dasselbe wie im Jahr 1812. Ich sammle, trockne und verarbeite Kräuter, ich koche, mache Salben, erfinde neue Salate und Suppen.“ „Und überhaupt“, fährt Lisa fort: „Esst Knoblauch und Bibernell, dann sterbt ihr nicht so schnell.“ Merksprüche, das steht fest, gibt’s hier fast so viel wie dreiblättrige Kleeblätter.

„Meine Kräuter“, sagt Lisa und packt ihre ganze Zuneigung in die Worte „sind ein Rundumlebenspaket“. „Kräuter verfeinern jedes Gemüse, jeden Auflauf. Sie heilen und duften. Und oft werden sie unterschätzt.“ Lisa hat Phytotherapie, Kräuterheilkunde, studiert, organisiert Lehrgänge und betreibt ein Mini-Restaurant mit drei Tischen.

Dieser Landstrich lebt seit Jahrhunderten von Kräutern, atmet Arnika, Kamille und Eisenkraut. Die Firma Ricola baut ganz in der Nähe der Bettmeralp auf riesigen Werks-Feldern die Zutaten für ihre Bonbons an, mischt seit 83 Jahren die gleichen dreizehn Kräuter – Spitzwegerich, Eibisch, Pfefferminze, Thymian, Salbei, Frauenmantel, Holunder, Schlüsselblume, Schafgarbe, Bibernell, Ehrenpreis, Malve und Andorn. Fügt ordentlich Zucker hinzu und voila: das Kräuter-Bonbon ist fertig.

Wer Kräuter verstehen lernen will, der kann natürlich ein paar Süßigkeiten lutschen. Besser aber ist es, richtig früh aufzustehen und an einem Tag im Sommer mit Lisa und einem Weidenkorb um den Bettmersee zu laufen  – den Blick gen Boden gerichtet.

Ein Mann in Arbeitshose schlägt Pflöcke in die Erde, sieht uns und schiebt den Hut in den Nacken: „Griaßts Eich, griaß di Lisa!“ „Servus Willi!“ sagt Lisa und zu uns gewandt: „Das ist der Willi, unser Viehtreiber, den kennt jeder im Dorf.“ Es ist ein bisschen wie im Heimatfilm. Gleich müsste O.W. Fischer um die Ecke biegen oder wenigstens der Bergdoktor. Aber es bleibt beim Willi – der ist bärtig und ziemlich lustig. Lässt sich gerne zum Mittagessen einladen. Aber vorher sammeln wir Schafgarbe, Rotklee, Brennnessel, Augentrost und Rauschbeeren. Und unter einer Bank stöbert Lisa den kerzenförmigen Hustenschreck Breitwegerich auf. „Der wächst im Schatten am liebsten.“ Aber verstecken gilt nicht.

Lisas Haus liegt in der Ortsmitte und für die Jause wird ein Holztisch im Garten frei geräumt. Neben Salat, Thymianbutter, Speck und Brot kommt ein Stövchen zum Einsatz auf dem nebenbei eine Creme aus Schafgarbe, Sheabutter und Bienenwachs köchelt – gegen rissige Haut. Das Chalet ist randvoll mit Eingelegtem, Eingemachtem, überal stehen Pulver und Tinkturen. Hunderte Schraubgläser und Dosen. In Regale geschlichtet, auf dem Boden gestapelt. Durch die Fenster strahlt Mittagssonne. Blick ins Tal, Richtung Bettendorf. Darüber die Walliser Alpen. Der Alphubel, die Mischabelgruppe, gewaltige Viertausender mit dem höchsten Berg auf Schweizer Boden, dem Dom.

Die Bettmeralp ist Heidiland, ein Bergparadies. Keine Zäune oder Ziergärten. Die Wiesen rund um die Chalets werden von Schafen und Kühen kurz gehalten, die Straßen sind leer, ab und zu bimmelt eine Fahrradglocke. „Freestyle“, nennt Lisa das Dörflerleben. Gegen Exzentriker hat keiner was – im Gegenteil. Dorf-Friseurin Pia modelliert ihren Kunden gern vogelwilde Frisuren. Wie neulich, als sie Lisas Haare raspelkurz schnitt und nur oben ein paar Strähnen stehen ließ. Lisa zuckt die Schultern: „Mach mal, hab ich gesagt.“

Auch in Lisas Küche kommen Außenseiter zu Ehren, die woanders entnervt aus dem Boden gerissen werden. Neben dem Heimgärtner-Schreck Giersch („Der schmeckt gut! Angebraten wie Spinat!“) hat es Lisa vor allem der Alpenampfer angetan. „Die Bauern hassen ihn, weil er so riesig wird, die Kühe fressen ihn nicht und deshalb hassen ihn die Bauern noch mehr.“ Aber Lisa hat Rezepte aus dem 16. Jahrhundert entdeckt, die den Ampfer ähnlich wie Mangold blanchieren, in Butter dünsten und mit Zwiebeln abschmecken. „Und aus den Stängeln mache ich eine Art Rhabarberkompott.“ Die kindskopfgroßen Ampfer-Blätter (früher auch begehrt als, ähem, Toilettenpapier) besitzen dazu eine kühlende Wirkung. Die wird im Dorfladen genutzt: Eingerollte Butterstücke bleiben so länger frisch. Sogar die Samen werden angeröstet und über Salat gestreut  – nichts in der Kräuterküche wird je verschwendet.

Biomüll? Was ist das denn?

PS: Übrigens haben auch synthetisch anmutende Leckereien oft natürliche Wurzeln. So heißt „Marshmallow“ übersetzt „Sumpf-Malve“, und der Eibisch – am Bettmersee wie auch im Ricola-Bonbon zuhause – ist so ein Malvengewächs. Aus Eiweiß, Zucker und der klebrigen Eibischwurzel rührten französische Patissiers Mitte des 18. Jahrhunderts eine weiße Paste namens „Páte De Guimauve“ zusammen – es war der Vater unserer zuckersüßen Kalorienbömbchen „Mäusespeck“.

 

 

 

 

 

 

Curacao: Beschwipst in Pastell

Curacao: Beschwipst in Pastell

(Dieser bearbeitete Text erschien in „DONNA“)

Gelandet. Das Gepäck ist da. Wir sitzen vor dem eierlikörfarbenen Flughafen von Curacao auf unseren Koffern und atmen Karibikluft. Die Schuhe, auf Münchner Beton noch essentiell, sind überflüssig. Schnell die Sandalen rauskramen, die Palmen (ah!) registrieren und: Ausatmen.
Wenn wir eines lernen auf dieser Insel mit dem berühmten Namen: Eile bringt nichts, Ausatmen hilft immer. Das, oder ein kleiner Snack.
Irgendwann kommt Charla, unsere Curacao-Guide, dann doch. Ihr kleiner Wagen ist auf 17 Grad gekühlt wie ein eisiger Schluck Gin. Die Menschen auf Curacao lieben ihre Klimaanlagen, Wettbüros, Snackbuden – und die Farbe Rosa. Nicht nur wegen der einheimischen Flamingos. Darüber klärt uns Charla – komplizierte Flechtfrisur, blaues Kostüm – während der Fahrt auf.

Curacao ist die größte Insel der ehemaligen Niederländischen Antillen, seit 2005 quasi unabhängig, gehört sie aber noch zum Niederländischen Königreich. Eine beschwipst wirkendes 444-Quadratkilometer-Refugium voll pastellfarbener Häuser und Puderzuckerstrände.
Charla fährt langsam. Keiner wagt außerhalb der Stadt mehr als 70 Stundenkilometer. Lieber nicht zu schnell.

Charla wurde im nahen Surinam geboren, spricht die hiesige Landessprache Papiamentu, dazu Holländisch, Spanisch und Englisch. Sie erzählt von ihren sechs Hündchen Chichi, Fendy, Pearly, Missi, Gigi und Puffy und von ihrer Band. Die muss gut sein, denn Charlas Stimme klingt schon beim Sprechen nach Amy-Winehouse-Volumen. “Sitzt ihr bequem?” “Yes Ma’am!”

Erstes Ziel ist die Nord-Westküste, auch bekannt als Sportscoast. Rund um die Stadt Westpunt leben vor allem Surfer-Dudes, Athletinnen und Wassersportler. Hier ist Curacao Bewegungsparadies. Und ziemlich leer. Wellen verebben an einsamen Stränden, der Sonnenuntergang funkelt und danach lädt der Mond und zum “paddling under the stars” ein. So nennt es zumindest Pram. Auf einem Surfbrett sitzend paddelt der höfliche Hippie durch das tiefschwarze Wasser und setzt sich dann zu uns. 

„Hier kann man alleine sein. Wenn man will auch jahrelang“. Pram kam vor über 20 Jahren zum Urlaubmachen aus Holland und hat seitdem den Flughafen nicht mehr gesehen. Er besitzt eine Holzbude, vor seiner Tür wachsen gelbe Beeren. Salz und Wind verkrusten die Fensterläden.
Als Tourist kommt man hierher zum Kite-Surfen, Windsurfen, Segeln, oder man bucht Bootsausflüge. Für Anfänger werden erste Surfkurse geboten, aber es macht auch Spaß, die Strandartisten erst mal nur von einer der Beach-Bars zu beobachten.

“Ein Amstel bitte!” Das niederländische Bier wird überall getrunken. Und Bier macht hungrig.

Also chauffiert Charla uns wieder quer über die Insel in die Hauptstadt Willemstad und dort zum hyperaktiven Mambo Beach.
Hier spielt man Beach-Tennis und trifft sich zum Barbeque. Kleine Buden säumen die Promenade, es gibt Dreadlocks to go, Silberschmuck und Strandkleider.

Heute, am Samstag, ist ein karibischer Foodmarket aufgebaut. Charla empfiehlt: würzige Relishes und Pickles. Was an Baum und Strauch wächst – hier wird es eingelegt: Jalapenos, Okra-Schoten, kugelrunde Chilis. Am besten geht “Komkomber Chiki”, ein Relish aus westindischen Gurken. Daneben glitzert aromatisiertes Meersalz, eben vor Ort geerntet. Das Food-Kollektiv “Flavors of Curacao” wirbt für sein gleichnamiges Festival mit über 30 Restaurants das jedes Jahr im Herbst stattfindet.
Angesagt ist gerade Coffee in a Cone, also Milchschaumkaffee im Waffelhörnchen, Brutzelbuden bieten kreolisches Schmorlamm, Muscheln in fruchtigem Salsa oder Lionfish-Burger aus Fisch und roten Zwiebeln.

Der Lionfish (deutsch: Feuerfisch) darf zwar nicht mehr mit Speeren gejagt werden, gefährdet aber durch Überpopularisierung die Korallenriffe und darf deshalb gegessen werden. In Willemstad sehen wir später Sticker, die werben: “Save the reef, eat lionfish”.

Wir sind pappsatt und faul, aber einen wichtigen Geheimtipp hat Charla noch. Wir fahren raus aus der Stadt, vorbei an Zuckerrohrplantagen, Kakteen und großen Bannern, die für “Robbies Lottery” werben. Dieser Robbie, erzählt Charla, sei inzwischen einer der reichsten Männer der Insel.

Und während wir noch überlegen, wie man auf Curacao eine private Lottogesellschaft aufziehen könnte, verheddert sich Charla fluchend in einer Sackgasse, wendet, dreht um, flucht erneut und findet dann doch die versteckte Auffahrt, an deren Ende die Künstlerin und Köchin Evelien Sipkes lebt.

Evelien Sipkes in ihrem Atelier

In ihrem Garten aus Palmen, Aloe-Vera und Bougainville tummeln sich Echsen und weiße Teekannen hängen in den Bäumen wie bei Alice im Wunderland. In einem offenen Atelier fertigt Evelien komplizierten Schmuck aus Keramik, Fäden, Holz und winzigen Fundstücken. Oder sie serviert Lunch mit amüsanten Ess-Geschichten an einem besonders großen Tisch. Sie nennt das table d’hote” (wörtlich: Tisch des Gastgebers): ob fleischhaltig, vegetarisch oder glutenfrei – das ordern die Gäste, oft auch Touristen, vorab, jeder einzeln.
Heute bereitet Evelien Keshi Yena zu, ein deftiges Gericht aus Huhn, Gemüse, Rosinen, Oliven und Käse.
Als private chef kommt sie auch in Ferienappartements oder Hotels mit Kochgelegenheit, mit all ihren Zutaten und Geschirr. Sie ist eine phantasievolle, geduldige Ausnahmekönnerin – ihre Gerichte jedenfalls sind nicht von dieser Welt. Zum Schluss wird als Digestiv serviert: Der berühmte Curacaolikör, aromatisiert mit Schalen von Bitterorangen. Und psst: Mit dem “Blue Curacao” aus Ihrem Supermarkt hat der hier vor Ort so viel zu tun wie ein wilder Feuerfisch mit einer eingelegten Sardine.

 

Fotos: Joerg Koch

 

 

 

Griechenland: Yoga und Honigbällchen

Griechenland: Yoga und Honigbällchen

Yoga? Bewegen? Turnen?
Ach nö, lieber nicht. Und ich weiß, wer von Yoga spricht, soll nicht „Turnen“ sagen. Aber so kam es mir vor. Wie eine lange Turnstunde auf einer schmalen Matte.
Nun geht es aber Seele und Körper nicht immer blendend, und als ich vor einiger Zeit in eine mittelüble Krise schlitterte, fiel mir dieses Dingens, dieses „Yoga“, wieder ein.
Eine Freundin brachte mich auf das „Ilios Center“ und die „DONNA“ wollte einen Bericht. Darüber, wie ich mich eine Woche lang nur um sich selbst kümmere und dabei die Wirbelsäule verdrehe.
Um es kurz zu machen: Das Ganze ging gut aus und Zweifler können hier nachlesen, warum Yoga nicht durchgeistigt sein muss, dass man dabei ein „Dolly von der Burg“-Gefühl entwickeln kann und keine Sweatpants von Gucci braucht.

(Dieser bearbeitete Text erschien in „DONNA“)

Das erste Mal: Yoga

Ich hatte es probiert. Theoretisch.
Ich hatte Freundinnen zum Yoga gefahren, Freundinnen vom Yoga abgeholt, mich am Eingang über Buddhafiguren, atmungsaktive Leibchen und Duftöle im Sonderangebot informiert und festgestellt, dass jetzt nur noch Yoga-Heizdecken fehlen.
Ich war interessiert, durchaus Hüftgold-beladen, aber noch halsstarrig.
Mein Mantra: Später.
Mein Schicksal: Später kommt früher als man denkt.
Denn zu diesem Jahresende steckte ich in einer Krise.
Das alte Jahr hatte so schaurig aufgehört wie das neue enden würde. Wenn das so weiterging.
Freunde, Dispos und Aufträge im freien Fall. Iirgendwann traute ich mich nicht mehr ans Telefon zu gehen.
Es war sowieso immer Frau Berger vom Finanzamt dran.

Raus aus der Krise

Innerlich verkarstet steuere ich also auf die große Leere zu: Burn Out. Dieser Begriff wurde übrigens schon 1974 von dem deutsch-amerikanischen Psychiater Herbert Freudenberger ins Spiel gebracht. Er unterschied dabei die zwölf Stufen des Ausbrennens bis hin zum endgültigen Zusammenbruch.
Ich pendele mich – nehme ich an – momentan bei zehn ein.
„Du musst dich entspannen“, mahnen die letzten Freunde.
Und weil das Internet zum Stichwort „Entspannung“ Trillionen Einträge liefert, verlasse ich mich lieber auf einen ihrer Tipps. Eine Reise in die Tiefenentspannung in einem griechischen Resort. Im “Ilios”-Center testet man sich durch die Spielarten der inneren Ruhe: Tai Chi, Qigong, Meditation, Trance, Tanz, Massage und Malerei. Und zur Krönung soll ein Yoga-Kurs letzte Verspannungen lösen.
Na bitte.

 

Gästebungalows im Ilios-Center

 

Was, kein Dessert?

Erster Eindruck: Hübsch. Das Ilios-Center liegt in der Abenddämmerung, es stehen 36 strahlend weiße Terrassenappartements bereit, 30 Gäste sind angereist, vor allem Frauen, und die Parkanlage breitet sich zwischen dem Fährhafen von Igoumenitsa und dem Städtchen Perdika an der griechischen Westküste aus.
Auf der Terrasse mit Blick auf Wellen und Nachthimmel wird noch schnell ein Willkommenssalat serviert (was, kein Dessert?), danach ist Bettruhe. Meine Gedanken vor dem Einschlafen gelten einer eingebildeten Gastritis, einer Tafel Noisette und Frau Berger.
Ich burne immer noch aus, das spüre ich. Es knistert zwischen den Magenwänden.
Am nächsten Morgen aber kann ich nicht anders. Ich muss lächeln.
Das „Center“ entpuppt sich bei Tageslicht als Paradies aus Bougainville-Blüten, Lavendelduft plus Sonnenschirmen mit Pool.
Und anders als beim Dinner gibt es schon zum Frühstück eine Art Dessert: Saftige Honigbällchen von Chefkoch Jannis.
Beilagen: Eine sonnengeflutete Yogahalle mit Küstenblick, Pinien und Olivenhaine.
Der Strand ist nur einen Kirschkernspucker entfernt, mit vielen einsamen Buchten, die alle „Secret Beach“ heißen.

 

Willkommen

Der Garten Eden…

…muss so ähnlich ausgesehen haben. Wobei die Schlange Adam und Eva hier zu Lotussitz und Sonnengruß verführt hätte, und alles wäre in Butter gewesen für die Menschheit.
Es geht los. Noch vor dem Frühstück renkt sich die Yoga-Gruppe ein.
Mein erster Kontakt mit dem Turn-Trend (so nenne ich Yoga in meinem gehässigen Kopf noch immer) war zugegeben: angenehm. Weder werde ich in einen Kopfstand gezwungen noch wird die Heizung auf vierzig Grad hochgejubelt. Die spektakulär angenehme Yoga-Lehrerin Tanja glaubt mir sogar, dass meine Arme „wirklich viel zu kurz“ sind, um bei durchgestreckten Beinen die Hände auf den Boden zu legen. „Vielleicht ist das ja so bei Dir“, sagte sie und lächelt allwissend. Tanjas Stimme ist sanft wie ein Kissen. Streichelt dort, wo Hände nicht hinkommen und schon nach kurzer Zeit zwinge ich mich morgens um sechs aus dem Bett um diese Stimme nicht zu verpassen. Dazu passend: ihr Look. Tanja ist das Gegenteil einer schicken Großstadt-Yogi: ungeschminkt, weite Hosen und braungebrannte Füße, die bestimmt nie einen Stiletto von innen gesehen haben.
Viel kann man sich von ihr Abgucken. Die langsamen, ausgeruhten Bewegungen, Muße und Umsicht. Und dass sich auf den fünfzehn Matten vor ihr neben Anfängerinnen auch ausgebildete Yogalehrerinnen verrenken, ist erstaunlich.
Tanjas ausgeklügeltes Programm bringt alle gleichsam ins Schwitzen und ein bisschen weiter.

Am Montag lerne ich die Wirbelsäule „wie eine Perlenschnur“ in Zeitlupe abzulegen und drehe mich irgendwie seltsam zur Seite („das Krokodil“), am Dienstag atme ich prustend durch die Nase (pfft, pfft, pfft, „Feueratem“), sitze kerzengerade mit verschränkten Beinen („Diamantsitz“) und mache schon am Mittwoch „den Hund“, eine enorm entspannende Räkelart.
Hunde wissen, was gut tut.

 

Blick von oben auf die Bucht.

 

Dolly auf der Burg

Schon vor 3500 Jahren, so alt ist Yoga nämlich vermutlich, haben frühe Yogis die Bewegungen der Tiere studiert und nachgeahmt. Das erzählt Tanja in einer Theoriestunde und schreibt auf ihr Flipboard: „Yoga als Geisteswissenschaft“. Das mag öde klingen, aber wir hören gespannt zu und lachen viel. Von wegen durchgeistigt.
Einmal wetten wir am Morgen um ein paar Münzen, wie viele Dreadlocks Tanja auf dem Kopf hat. Marlen aus der Schweiz zählt mit Erlaubnis nach – es sind 78. Ich verliere haushoch.

Es wird ein bisschen wie bei „Dolly auf der Burg“. Wir Yogadamen sitzen kichernd im Gras, machen Tai Chi am Strand und trinken Cappuccino. Schnell kenne ich die Lebensgeschichten von Vera aus Berlin, Hannah aus dem Bergischen Land, Marlen aus St. Moritz und Petra aus Köln. Dass wir alle eine Extrarunde Entspannung nötig haben, ist klar.
Eine hat gerade eine harte Krankheit hinter sich, andere knabbern an Scheidungen und sonstigen kleinen und großen Krisen.
Im echten Leben sind sie Psychotherapeutin in Frankfurt, Arzthelferin in Tirol und Fluglotsin in Bayern. Kosmetikerin Sabine erzählte von zickigen Botox-Ladies und unterbesetzten Nagelstudios und ausgerechnet die beiden ältesten Frauen in der Runde entpuppen sich als biegsame Bewegungswunder. Dolly mit Dehnungsstreifen.

Ich lerne: So ein Yoga-Center muss nicht esoterisch sein und auch kein dogmatischer Ashram, in dem Yoginis tadelnd fragen: „Was, du guckst NETFLIX?“
Nein, hier wird von Berliner Eisbein geschwärmt, werden Modetrends diskutiert und nicht befolgt, Reality-TV besprochen und ganz und gar weltliche Büchertipps ausgetauscht. Ich empfehle „American Psycho“. Bisschen Gruselausgleich nach all der Harmonie.

 

Auch im Angebot: Malen im Kunstzimmer

Wer ist noch mal Frau Berger?

An einem der heißesten Tage unternehmen wir dann den letzten Ausflug. Das Städtchen Parga  stellt Holzboote, Steintreppen, verschachtelte Häuser, Boutiquen und Strandcafes malerisch zur Schau.
„Können wir nicht hierbleiben?“, fragt Hannah.
Am Freitag Abend sitzen wir bedripst ein letztes Mal auf der XL-Terrasse, tauschen Adressen und verdrücken ein paar Tränen.
„Es kam uns vor wie eine lange Zeit, so schön war das“, seufzt der Chor der Heimfahrer.
Tschüss, sanfte Stimme, tschüss, ihr alterslosen Dollygirls. In der letzten Nacht kreisen meine Gedanken vor dem Einschlafen dann auch zielführend um die Honigbällchen von Jannis, das gute Gefühl in meinem Bauch und den Duft von Lavendel. Wer ist noch mal Frau Berger?

Letzte Sonennuntergangsanbetung auf der Terrasse

 

PS: Bevor ich mich wieder in den Sonnengruß werfe, noch ein paar Informationen zu Yoga-Lehrerin Tanja Seiler: Vor vielen Jahren landete sie über etliche Umwege (Freiburg-Kurdistan-Pakistan) in Indien und ging dort bei einem Yogi in die Lehre.
Sie lebte lange in einer Höhle mitten im indischen Nirgendwo und ihr Meister in der Höhle darüber. Zurück in Deutschland unterfütterte sie seine Praxis-Lehren mit einem Philosophie- und Indologie-Studium. In Freiburg leitet sie heute ihr eigenes Yoga-Zentrum. Im Institut für Yoga man sie besuchen. Und buchen.

Dir Frau zur Stimme: Yogalehrerin Tanja Sailer  in Griechenland.

Mehr über das Center gibt es hier:
www.ilios-center.com

Valencia: Churros unterm Orangenbaum

Valencia: Churros unterm Orangenbaum

Weil es im Leben ja auch immer um Kekse, Karamellpudding und Konfekt geht, suche ich, wenn es sich einrichten lässt, nach den besten Naschtropolen der Welt. Das sind Städte oder Länder, in denen es ganz besonderen Süßkram gibt, komplizierte Torten oder wildes Knusperzeugs.
In England gibt es zum Beispiel einen gedämpften Pudding aus Nierenfett und Rosinen, der den fragwürdigen Namen Spotted Dick trägt und trotzdem sehr gut schmeckt. Man isst dort rosa-gelb karierten Battenberg-Cake im Marzipanmantel oder dreistöckigen Trifle mit Erdbeerglibber.
Island punktet mit Lakritzkugeln und Karamelriegeln, und je weiter südlich man fährt, desto besser können die Menschen mit Kakaobohnen umgehen.

Kalorien wurscht, futtern sexy.

In Spanien gibt es Städte wie Valencia, in denen sich fast alles um Schoko und Trüffel dreht. Die Küstenstadt an der Mündung des Turia muss man deshalb als Gesamtkunstwerk aus Zucker, Orangenaroma und Sahnehauben begreifen.
Man kann zwar auch schnörkelige Fassaden gucken, Strände beschlendern, aber vor allem sollte man: naschen. Süß frittierten Teig, Mandelkrapfen und pudergezuckerte Hefekringel. Dazu passt zu jeder Zeit die fetteste Tassenschokolade der Welt. Unter einer großzügigen Sahneschicht, versteht sich.

Kaffee und ein Hefekringel mit Puderzucker.

Freunde dieser Tassenschokolade treffen sich an heißen Tagen bereits am Vormittag im Chocolatería Valor, wenn am Plaza de la Reina die Sonne auf Rosenköpfe brennt.
»Camarero!«, rufen die Gäste, und der Kellner eilt herbei, nimmt auf, verschwindet, kommt zurück, ein schwankendes Tablett auf der Hand, Porzellantassen darauf. Er serviert, vorsichtig.
Dann das Ritual: Tassen werden angehoben, zum Mund geführt, es wird geschlürft, genippt und ernst genickt. Ja, so ist es gut. Im „Valor“ ist Schokolade „serious business“.

Schokoladenkuchen mit Schokoladensoße im „Valor“.

Männer in Anzügen, Frauen in Strickjacken und der blondierte Junge mit der Designer-Jeans, sie alle schlürfen und gucken zufrieden.
Kein Wunder, denn sie trinken eine Art flüssigen Schokoriegel, wahlweise nach Maya- oder Azteken-Rezept. Dazu gibt es Schokolade im Brötchen, Krapfen mit Schokocreme oder Schokoladenfondue. Selbst über den sehr saftigen Kuchen wird Schokoladensoße gekippt. Hier brühen, backen und sitzen Kakaobohnen-Connaisseure und Schokoholiker. Kalorien wurscht, futtern sexy.

Das San Francisco Spaniens

Belen trinkt im Valor heute nur einen Saft. Sie hat ihr ganzes Leben in Valencia verbracht und arbeitet als Privat-Guide. Für 120 Euro am Tag zeigt sie Touristen und VIP-Gästen die Stadt. Sie schiebt die Sonnenbrille ins Haar und lehnt sich zurück: »Sie können alles auf einmal haben in Valencia. Das Meer, den Blick auf die iberischen Berge und eine mittelalterliche Altstadt. Sie können Schokolade trinken, zwei Zentner Hefegebäck am Tag essen oder den ganzen Tag am Strand liegen – wir nehmen hier alles ganz entspannt.« Valencia mit seinen Palmen und den vielen Neo-Hippies wirkt wie das San Francisco Spaniens – bloß ohne Diät-Psychose oder Junk-Food. Eine winzige McDonald’s-Filiale verkauft mitten in der Altstadt zwar die übliche Burger-Kollektion, ansonsten versteht man hier unter Fast Food eher den frischgepressten Orangensaft vom Marktstand.

Überhaupt Orangen: Sie wachsen im schattigen Innenhof der Seidenbörse und im Frühjahr blühen in ganz Valencia auf 180.000 Hektar Orangenhaine. Man braucht die Früchte für alle Lebenslagen: als Getränk, auf Kuchen, als Öl, in Cremes und demnächst vielleicht als veritablen Benzin-Ersatz. Statt auf Raps setzen spanische und amerikanische Forscher auf Orangensaft. »Bald ist es so weit«, melden die hiesigen Zeitungen.
»Jaja, wir können auch Fortschritt« sagt Belen. Und die architektonische Zukunftsvision Ciudad de les Arts i les Ciències erinnert mit ihrem Riesen-Aquarium, futuristischen Kinos und Museen eher an Space X als an spanische Gemütlichkeit. Valencia will mehr als Meer.

Sonntags gibt es Churros mit Mandelmilch

Traditionen müssen allerdings eingehalten werden. Belen: »Jeden Sonntag gehe ich zu meiner Mutter zum Essen. Dann kommt die Großfamilie zusammen und es gibt natürlich Paella.« Das andernorts manchmal zur fragwürdigen Pampe verkommene Gericht gilt hier noch als Krönung der Tafel. Im Altstadt-Restaurant »El Rall« in der Carrer dels Abaixadors werden Paella-Pfannen mit bis zu einem Meter Durchmesser serviert: gebackener Reis, Zuckerschoten, Artischocken und Hähnchenkeulen.
Bis am Nachmittag ein süßes Schmalzgebäck namens Churros zu Mandelmilch gereicht wird, macht das satt.
Und später am Abend wird das Bäuchlein laut Belen »einfach weggetanzt«.

Über den Dächern von Valencia.

Die Straßenbahn fährt direkt bis an den Strand, Nachtclubs säumen die Promenade. In den Neunziger Jahren war Valencia bei Party-Hoppern so beliebt wie heute Ibiza. Belen erinnert sich: »Wir nannten das die Routa de Bacalo. Von Donnerstag bis Montag zogen wir von einem Club zum nächsten. Schlafen kam später.«
Auch heute ist im »Luna Rossa« einiges los. Der Club ist im Stil der 20er Jahre eingerichtet, aus den Boxen dröhnt harter Funk, die Mädchen tragen Frottee-Minis, die Männer Bärtchen und alle bestellen French Coladas aus Rum, Cognac und Kokosnuss. Tanzen, ganz klar, ist hier Frauensache, zumindest bis der Alkoholpegel in den Mir-doch-egal-Bereich rauscht. Die Aftershowparty organisiert sich draußen ab halb sechs von alleine: Dann steigt die Sonne aus dem Meer während in den Cafes schon wieder die ersten Hefekringel zu starkem Kaffee serviert werden. Na dann, buen provecho!

 

Österreich: Die Reste vom Sommer

Österreich: Die Reste vom Sommer

(Dieser bearbeitete Text erschien im „ADAC Reisemagazin“)

 

„Bist Du fit im Bergwandern? Höhentauglich, austrainiert?“ fragt der Chefredakteur.

„Na klar. Ich bin auf Zack.“

Was gelogen ist.

Aber ich will die Geschichte. Über das Wandern durch Österreich, genauer gesagt über den Salzburger Almenweg.

Im Frühtau zu Berge, fallera.

Das letzte Mal wandern – war das nicht vor vielen Monden mit meinen Eltern?

Aber es ist abgemacht: Fünf Tage werde ich über einen Abschnitt des 350 Kilometer langen Almenwegs laufen. Nichts tun als laufen, über das Laufen nachdenken, schlafen und dann weiterlaufen.

Immerhin ist jetzt Ende der Saison. Der goldene Oktober. Nicht zu heiß, nicht zu kalt, meist sonnig. Kaum eine Kuh grast noch in den Bergen, denn der Spätherbst beginnt hier nicht selten mit Schneetreiben.

Der Start. Fluchen, schwitzen und dann wieder langweilen.

Wir starten oberhalb von Großarl. Die Sonne brennt. Wind summt in den Ohren. Knackt, raschelt und zurrt. Großarl war einst der kinderreichste Ort Europas und wirkt niedlich wie eine Puppenstube. Viele Romantikhotels und Bauernstuben. Aber nur wenige Meter oberhalb des Dorfes gibt es statt Bettwäsche und Frittatensuppe nur Kalkfelsen und Geröll. Ich zähle meine Schritte und ich zähle die Steine. Ich langweile mich schon jetzt und mein Rucksack ist zu schwer. Ich fluche, schwitze, und dann langweile ich mich wieder. Die beiden durchtrainierten Männer neben mir, ein einheimischer Bergführer und ein Fotograf aus Hamburg, ignorieren mich. Schwitzen kein bisschen und reden über die Landschaft.

Am Abend die erste Hütte. Oberhalb vom Tappenkarsee. Ich liege auf einer Holzpritsche, einen versöhnlichen Kaiserschmarrn im Bauch, und frage mich, wie lange fünf Tage eigenttlich sein können?

Die Lampe über dem Bett flackert, weil das Wasserkraftwerk hinterm Haus manchmal zu schwach auf der Brust ist. Hat uns der Wirt erzählt. Ohne die Funzel ist die Nacht tiefschwarz, sauber und kühl. Es riecht feucht, nach Erde und Gras.

 

Der nächste Morgen räumt die dunkle Stimmung vom Tag davor auf. Putzt sich raus und strahlt, wie es nur Herbsttage können. Die letzten Gäste der Tappenkarseehütte sitzen im sonnenwarmen Frühstücksraum. Sie schnüren ihre Rucksäcke, die Männergruppe aus Prag, am Abend noch schnapsselig und melancholisch, ist schon vor einer halben Stunde losgezogen. Fast sind sie nicht mehr zu sehen, nur noch kleine, bunte Sprenkel zwischen Heidekraut.

Sunnyboy und Wirt Hannes, blaue Augen, Schnauzbart und Sonnenfalten, serviert Kaffee, heiße Milch und immer neue, sagenhafte Geschichten.

„An goscherten Hund“, nennen sie den Hüttenwirt hier, oder auch „Schmähführer“. Heißt beides soviel wie Plaudertasche, Angeber.

„Vor zwei Wochen hat mein Schwager den Fuchs erschossen. Drüben am Berg. Mei, des war grausig. Des Blut, des Gedärm…“

Außerdem hat Hannes vor kurzem einen depressiven Kriminalbeamten eine ganze Nacht mit Stories und Enzianschnaps kuriert. Hier auf der Hütte. „Ehrlich wahr. Manchmal bin i a Psychiater.“

Später am Tappenkarsee, unterhalb seiner Hütte, setzt Hannes mit einem Motorholzboot und seinen Kindern über und nimmt uns mit.

Die Wellen plätschern, die Sonne versteckt sich.

 

Ich halte eine Hand ins Wasser und bibbere. Wolken verschwinden hinter Gipfeln, und kommen wieder, ballen sich, lösen sich auf, vom Bausch zum Bogen. Der Wind, mein ständiger Begleiter, summt jetzt lauter.

Am anderen Ufer ist mein Schritt plötzlich fester, die Stimmung besser und der Rucksack leichter. Was damit zusammenhängen könnte, dass Hannes eine Tüte voll mit Kram zum Aufbewahren von mir bekommen hat.

Denn: Was braucht man schon wirklich?

 

Ich jedenfalls werde während der ganzen Zeit nichts vermissen. Bis auf Bücher, Buchstaben, aber die muss man sich eben selbst schreiben. Im Kopf.

Wie leicht das geht, merke ich bald.

Wir sind jetzt allein, wir sind weg. Gehen schnaufend und schweigend bergauf. Keiner kann uns anrufen, simsen, mailen, die Zeit ist fort, da unten im See verloren gegangen. Für uns besteht sie nur noch aus Hell und Dunkel. Wenn es hell ist, gehen wir, wenn es dunkel ist, schlafen wir.

Das ist einfach. Einfach schön.

Vom Bootsschuppen schreit ein winziges Männchen noch einmal herüber: „Macht’s guad!“ Der Schmähführer dreht sich um und wandert nach Hause. Lustig war’s mit ihm.

 

Die Landschaft hier oben wird jetzt karg und wickelt einen trotzdem um den Finger. Es müssen an die 1900 Meter sein, ein Gipfelkreuz, dann wieder ein Stück bergab, bis wir ein Meer aus abgeblühten Almrosen durchqueren und das reinste Spektakel beginnt. Die Szenerien wechseln, als wären Kulissenschieber am Werk. Gerade noch sahen wir Winnetou und Apanatschi durch die Siebziger Jahre reiten, jetzt säumen die Highlands, dann ein paar Schweizer Kletterfelsen und schließlich Tannen, ausladende Kiefern und Lichtungen unseren Weg. Es ist ein Märchenwald, in dem der Tanzbodenkönig und der fette Ezechiel ihre Herzen aus Stein begraben. Es passt, dass ausgerechnet hier eine Märchenerzählerin lebt. Sie lässt „Das kalte Herz“ und „Rübezahl“ auferstehen. Andrea Seer begleitet Wanderer je nach Wunsch mit den Gebrüdern Grimm, mit Hauff, Natursagen oder ihrem Flötenspiel.

Wenn dann Melodien durch die Luft wirbeln, zart wie Gaze, hört man das Flüstern, überall: „Schatzhauser im grünen Tannenwald, bist schon viel hundert Jahre alt. Dein ist all Land, wo Tannen stehn – lässt dich nur Sonntagskindern sehn.“

 

Durch Birkenhaine und dichtes Moos schiebt sich die Filzmoosalm ins Bild, ganz schwarz und schief, blaukarierte Vorhänge in den Fenstern, davor Kinder, die Preiselbeeren in Plastikeimer zupfen. „Beeren brock’n“ sagen sie dazu.

Drinnen riecht es nach Rindenmulch, offenem Feuer und Speck. Draußen warten derbe Holztische, die Tracht aus Filz und rotem Tuch ist Pflicht für alle, die hier arbeiten. Dirndl oder Lederhosen, das junge Liebespaar aus Sonntagshüter Matthias und Sennerin Steffi trägt sie genauso wie Wirtin Christel.

Matthias, ein fescher Blonder, schnitzt an einem Haselnussstock, den hier jeder einheimische Wandersmann bei sich trägt. Nordic Walking? Nie gehört.

Christel tischt Graukas auf, den traditionellen Schimmelkäse, Brot und saftigen Kuchen aus Blaubeeren und Mohn. Es ist die Zeit der letzten Beeren, sie werden zu Süßem verbacken und eingekocht. Nur die Vogelbeeren, leuchtend rot und überhaupt nicht so giftig wie ihr Ruf, werden zu edlem Schnaps vergoren. „Der beste Obstbrand überhaupt.“ Sagt jeder, der ihn probiert hat.

Mehr als 120 Hütten liegen entlang des Salzburger Almenwegs, und zu den schönsten gehören die Maurachalm, die Weißalm und eben die rußige Filzmoosalm, wo Christel nun schon im 24. Sommer ihren Kas anrührt und Süßrahm buttert. Neun Kühe hat sie vor vier Tagen zusammen mit der Sennerin geschmückt und ins Tal gebracht. Jetzt räumen die beiden das Geschirr ab, die Nachmittagssonne taucht ihre Haare, ihre Blusen und derben Lederschuhe in ein flirrendes Licht.

Jetzt ein wenig dösen. Wegschlummern.

Es dämmert bereits, als wir am frühen Abend die Weißalm erreichen. Zu lange gedöst, selber schuld. Und jeder besonnene Wandersmann (ja, ich zähle mich seit heute Mittag dazu, den Spott muss ich ertragen) weiß: Wenn’s dunkelt, kehrt man ein. Wir aber müssen noch weiter. Was tun? Zum Übernachten sind wir auf der Unterwandalm angemeldet, eine Stunde von hier entfernt. Die Unterwand ist 300 Jahre alt, hat aber mit Eva und Rosi die jüngsten und hübschesten Sennerinnen. Gerade 21 Jahre alt ist der Almbauer Markus und ein sanfter Riese. Schon bald wird er die Eva hier oben heiraten, munkeln die Leute.

Überhaupt heiraten die Paare gerne auf der romantischen Unterwand.

Wir aber sitzen noch immer schräg gegenüber unserer Herberge.

Man kann sie von hier aus schon sehen, die Lichter gehen an. Der Abend wird kühl, und nur der Sonnenuntergang lässt den Himmel noch einmal leuchten.

Einen letzten Enzian, dann hat Weißalm-Bauer Michael ein Einsehen. Er mag siebzig sein, hat ein Gesicht wie aus Borke geschlagen und einen Golf „Bon Jovi“ von 1994 mit eingeschlagener Windschutzscheibe im Schuppen stehen. Mit diesem wackeren Gaul von einem Auto schaukelt er uns auf seinem Privatweg 1600 Meter über dem Tal rüber zu seinen Nachbarn.

„Jo mei. Ka Broblem.“

Einen wie Michael trifft man nur hier oben. Eine Seele von einem Menschen, verschmitzt und „immer liab“, wie seine Frau Barbara weiß. Und der Michi sagt, dass er im Sommer nur hier leben mag. Nur hier kann er in einem unangemeldeten Wagen ohne Frontscheibe den Abhang entlang brettern während seine Kühe hinter ihm her kauen. Nur hier setzt Barbara morgens um sieben den Hefeteig an, schneidet Speck, deckt den Tisch und füttert die Schweine, eines mit hellen Augen und rotblonden Wimpern. Wir rufen: „Boris!“.

Nur hier kann Michael mit seinen beiden Söhnen den ganzen Tag über Vogelbeeren brock’n, am Abend ein paar Schnäpse trinken und über die Berge schauen. Woanders geht das nicht und woanders wären ihm die Lachfalten womöglich längst abhanden gekommen.

Mächtig weit weg ist man hier oben vom Leben da unten und doch nur ein paar Kirschkernspucker entfernt.

 

Wir durchwandern die Tage und schlafen wie ein Stein in der Nacht. Es sind die kleinen Dinge, die zu Sensationen werden auf dem Weg. Ein duftendes Stück Seife auf der Unterwandalm macht mich überglücklich. Im hohen Gras liegen, den Hut ins Gesicht ziehen und plötzlich zum ersten mal überhaupt an gar nichts denken. Sowas schafft ein Spa in hundert Jahren nicht. In einem alten Schuppen entdecken wir einen Holzschlitten aus dem letzten Jahrhundert, auf der 400 Jahre alten Karseggalm kratzen wir Ruß von den Wänden und staunen über die dicken Speckschwarten, die saftig im Rauch hängen. Arnika, Herbstenzian und das seltene Wollgras wird von uns bestaunt und der Senner stopft derweil seine Pfeife mit Liebe und viel Ruhe. Und dann plötzlich: Schauen wir einem echten Supermodel in die Augen. Und verlieben uns auf der Stelle.

 

Notburga heißt die Sennerin von der Maurachalm und sie ist wahrscheinlich öfter fotografiert worden als Heidi Klum. Neulich sogar für das Titelblatt eines Wanderkalenders. Sie ist mit Helikoptern herumgeflogen worden, vertritt den Salzburger Almensommer in ganz Europa und hat das Wort „Marketing“ in ihren rustikalen Alltag auf der Alm problemlos integriert.

Sie sieht toll aus. Ihren langen Zopf trägt sie um den Kopf geschlungen, wie es die Frauen hier eben tun. Ihr Dirndl ist aus dunkelgrünem Samt, der Schmuck aus echten Hirschzähnen. Ihre Augen schimmern grasgrün und das Haar silbern. In diesem Jahr wird Notburga ihren 81. Geburtstag feiern.

Man möchte die Anti-Age-Creme von daheim in die Tonne treten. Schön macht etwas anderes. Bloß was? Statt einer Antwort zeigt Notburga ihre mit Sinnsprüchen bestickten Leintücher, die in der Stube hängen. Auf einem steht: „Glücklich, wer ein Herz gefunden, das nur in Liebe denkt und sinnt.“ Kitsch hin oder her, Hoffmann von Fallersleben hatte da irgendetwas richtig verstanden. Seit fast 60 Jahren ist Burga jetzt mit Sebastian zusammen, der heute einen Strohhut trägt. Sie lächelt. Und muss jetzt zum Auftritt.

Auf der Holzveranda, gleich über dem Sommerblumengarten, steht ihr Sohn Ludwig, auch schon ergraut, und spielt Akkordeon. Seine Mutter legt die Finger um das Geländer, ganz fest, und singt aus voller Kehle.

Es ist ein Montag, zwei Uhr am Nachmittag. Und hier scheinen wieder mal alle aus der Zeit gefallen. Uhren jedenfalls zählen hier nicht.

Jeder Hocker, jede Bank ist besetzt, Wanderer kommen von überall her um den beiden zuzuhören und ein Glas Holunderblütenwasser zu trinken. Aus selbstgemachtem Sirup und Quellwasser gemischt, schmeckt es nach fetten Kräuterwiesen und einem langen Sommer. Muss er denn überhaupt je enden?

Es soll unser letzter Tag auf dem Almenweg werden, aber das wollen wir jetzt noch nicht wahrhaben.

 

Erst als wir Stunden später auf dem Weg ins Tal durch Bachläufe waten, durch Heidekraut und knackende Halme, hören wir plötzlich nichts als das Summen der Luft, sehen nichts als Gipfel und Täler. Kein Mensch weit und breit, nicht mal ein Schaf, keine Kuh. Die Weiden sind abgegrast, ein paar Holzstecken ragen aus dem aufgeschaufelten Boden. Die Reste vom Sommer.

Zur Sonnwendfeier erstrahlen hier nämlich der Schuhflicker, der Kreuzkogel und wie die Gipfel alle heißen, in einem Meer aus Leuchtfeuern. Die Fackeln werden handgegossen aus Hobelspänen und Wachs und in die Erde gerammt. Ein Feurspektakel, adieu schöner Sommer. Jetzt aber: nichts mehr. Stille.

„Hörst du das?“ frage ich, und der Fotograf nickt.

Wie lange können fünf Tage eigentlich sein?

Ich sage es Ihnen: Immer zu kurz.

 

Als unsere Wanderroute endgültig beendet ist, die Seilbahn uns in Wagrain absetzt und wir ein Taxi zurück nach Großarl nehmen, sehen wir einer unruhigen Nacht im Hotelbett entgegen.

Schon um kurz nach sieben sitzt der Fotograf am Frühstückstisch, schlürft Tee und starrt auf seine Uhr.

„Wir können es schaffen“, sage ich und er sieht auf. Er weiß genau, was ich meine.

 

Innerhalb von Minuten stehen wir vor unserem Hotel „Alte Post“ auf der Straße.

„Schnell!“ rufe ich dem Taxifahrer zu und werfe meine Tasche auf den Rücksitz. „Ganz nach oben!“ Es klingt wie ein Flehen

Nur noch einmal rauf auf die Alm zu Michael und Barbara. Auf einen Sonnenaufgang, einen Kaffee, einen Schnaps. Tschüß sagen zu Boris und Bon Jovi, zu den Tannen, den Wiesen, dem ganzen Kitsch, herrgott. Was für ein schwerer Abschied.

Nach einem „Kummt’s bald wieda“ können wir dann auch endlich zum Flughafen fahren, zweihundert Kilometer entfernt. Der Entzug der Bergwelt sollte langsam geschehen. Das haben wir gelernt in diesen Tagen. Es muss ein warmer Entzug sein. Ein sonniger Platz auf der Holzveranda lindert den Trübsinn, und der letzte Vogelbeerschnaps wärmt das Herz wie Bio-Methadon. Ist aber harmlos. Garantiert.