von Katrin Mimi Parmentier | Sep 25, 2021 | Reisen
(Dieser bearbeitete Text erschien in „FREUNDIN“)
Früher Abend, Feierabend. In der Penthouse-Bar des Hotels Dom Henrique tragen die Besucher helle Anzüge und Sommerröcke, ein rosaroter Longdrink namens Hibiscus Gin Fizz wird gereicht. Das Mobiliar aus eleganten Bücherregalen und Cocktailsesseln erinnert an die frühen Sechziger Jahre, der Blick über Porto wirkt therapeutisch. Siebzehn Stockwerke weiter unten macht sich die Stadt für die Nacht bereit. Lichtscheue Gassen wirken jetzt noch schmaler, die Boulevards verwaisen und die Luft wird kühler. „Wissen Sie“, sagt ein Herr an der Bar, „es muss nicht immer Lissabon sein.“ Das ist richtig. Porto macht seine Sache ziemlich gut.
Porto vom Hotel Dom Henrique gesehen.
Jetzt nochmal raus und in der Sandwich-Bar Lado B. ein Francesinha bestellen. Der Käsetoast mit Fleisch und Bratensoße gehört zu Porto wie die Rostbratwurst zu Nürnberg, und schmeckt – gut gemacht – zumindest nahrhaft. Ein stabiler Magen ist nicht von Nachteil, das Ding liefert eine solide Grundlage für lange portugiesische Nächte.
Porto am Abend bietet neben Hibiskusdrinks und Toastkreationen viele bunte Neonlichter, Möwengekreisch, Wäscheflattern und immer wieder Meerluft, die vom Atlantik herüberschwappt. In Ribeira schenken Barkeeper jetzt Burmester-Wein und das lokale Bier Superbock aus. Für Hopfenhipster gibt es im Letraria aber auch fünfzig Sorten Craft Beer und das Xico Queijo nahe der Universität mixt Sangria aus Rosé, Gurke und Weintrauben. Bis sieben Uhr morgens haben die Clubs geöffnet, von der Fado-Lagerhalle bis zum Electroswing-Treffs Indústria. Um zwei Uhr nachts öffnet das Relikt aus den Achtzigern, Chef ist eine lokale Berühmtheit. Berghain bei Wish bestellt, behaupten böse Zungen. Ganz so schlimm ist es aber nicht.
Und auch am nächsten Tag will Porto ein bisschen Berlin, ein bisschen Brooklyn sein, mit vielen Studenten, barfuß, busy und kunstverliebt. Das Museum Serralves könnte auch in New York stehen, Stararchitekt Álvaro Siza Vieira entwarf es zwischen Atlantikküste und Zentrum als reinweißen XL-Bungalow aus Licht, Luft und Glas. Moderne Kunst schmiegt sich hier in eine Parklandschaft Zypressen, Palmen und Kamelien.
Blick von oben in den Workspace im Museum Serralves
Folgt man von hier aus dem Flußlauf des Douro in Richtung Stadt, gelangt man am Nordufer wieder nach Riberia, das tagsüber als historisches Zentrum wieder ganz Postkartenmotiv ist: aufeinandergestapelte Häuser, Hafen-Bars und streunende Katzen. Check.
Am Südufer gegenüber liegt der Stadtteil Vila Nova de Gaia. Hier sind die großen Portwein-Hersteller zuhause, über 50 uralte Weinkeller und eine Seilbahn die träge über die Uferpromenade schaukelt. Man kann im schicken „Porto Cruz“ einkehren und auf der Dachterrasse mit Traumblick fangfrischen Oktopus zu lokalen Weinen verkosten. Beide Ufer verbindet die Wahrzeichen-Brücke „Dom Luis I.“
Vila Nova de Gaia mit Portwein-Fabrik „Sandeman“ und Seilbahn. Links die Brücke Dom Luis I.
Flussabwärts mündet der Douro in den Atlantik. Die U-Bahn fährt in zwanzig Minuten an Stadtstrände wie den „Praia de Matosinhos“, eine Fahrt kostet 1,50 Euro. Ein Surf-Brett plus Neoprenanzug kann man am Praia für 15 Euro zwei Stunden lang mieten. Individuelles Sightseeing bietet eine Fahrt in der hübschen Museumsstraßenbahn. Die LInie 22 schaukelt in einer halben Stunde für 3 Euro durch Portos Zentrum, von Batalha-Guindais nach Carmo und zurück.
Straßenbahnlinie 22 auf dem Weg nach Carmo.
Straßenbahn – check, Historie – check, fehlt nur noch: Kaffee! In Porto schmeckt er nussig, rauchig und stark. Zum Frühstück reicht den meisten ein „Pingo“ (kleiner Milchkaffee) zum Pastel de Nata, einem dunkel gebackenen Puddingküchlein, das in Schachteln auch als Mitbringsel verkauft wird.
Ein Pingo zu Pastel de Nata und Mini-Eclair.
Wer seinen Pingo in einem der vielen Straßencafes von Riberia nimmt, bekommt dazu Straßenbahnen, die gekonnt an den Tischen vorbeiquietschen und um die Ecke den Livraria Lello, das berühmteste Geschäft der Stadt. Ein Buchladen mit eigenem Türsteher, Fanclub und Pressesprecher. Der Lello ist kein normaler Shop, eher eine Literatur-Kathedrale. Holzvertäfelungen wurden restauriert, es riecht nach Harz und Papier, von oben dringt diffus Licht durch Buntglas. 1869 wurde der Laden in der Rua das Carmelitas eröffnet, mit neogotischer Fassade und einer Innenausstattung im Jugendstil. Als die Harry-Potter-Autorin JK Rowling Anfang der Neunziger Jahre in Porto lebte, fand sie hier die Inspiration zum ersten Harry-Potter-Band. Heutzutage gibt es Eintrittstickets für drei Euro, kauft man ein Buch, wird der Betrag wieder abgezogen. Offiziell wird der Lello hinter Läden in Buenos Aires und Maastricht als „drittschönster Buchladen der Welt“ geführt.
Reifröcke spenden Licht. Auch eine Besonderheit im „Lello“.
Zehn Minuten Fußmarsch entlang der Rua da Carmelitas noch so ein Hingucker: Der Bahnhof São Bento ist ein Gesamtkunstwerk aus Eisenträgern und Fliesen. Die historischen Hallen sind seit 1916 in Betrieb, und immer noch warten Züge und Reisende, während Touristen vor allem die historischen Kacheln fotografieren. Azulejos heißen die blauweißen Fliesenbilder, Monumente, Hausfassaden und Kirchen werden mit ihnen geschmückt, im „São Bento“ erzählen über 20.000 Azulejos vom 14. Jahrhundert, von der Hochzeit des König João I und Heinrich dem Seefahrer.
Bahnhof São Bento – immer in Betrieb.
Die monumentalen Bilder sind faszinierend, und wer nicht genug bekommen kann läuft in elf Minuten über die Rua de Sá da Bandeira zur Capela das Almas, der „Kirche der verlorenen Seelen“. Sie thront zwischen der Bummelmeile Rua das Flores und den Marktständen des Mercado do Bolhão. Über und über mit Azulejos bedeckt, zeigt sie Szenen aus dem Leben von Franz von Assisi und der Heiligen Catarina. Es dürfte wohl kaum einen besseren Ort geben, um mit dem da oben zu verhandeln.
Die Capela das Almas – Kirche der verlorenen Seelen.
Porto, zum Verlieben schön? Könnte sein. Einen kleinen Beweis liefert auch ein Kinofilm, den man immer wieder gucken kann. „Porto“, mit dem viel zu früh verstorbenen Anton Yelchin, erzählt eine Liebesgeschichte zwischen Mann, Frau und Stadt. Mit Patina, Morgennebel und dem ewigen Geschrei der Möwen liefert Porto die melancholische Kulisse. Regisseur Gabe Klinger über seinen Drehort: „Porto ist eine Großstadt, aber auch intim. Sie keltert schweren Portwein, hat aber einen leichten Gang und viel bittersüße Melancholie. Sie ist, ganz einfach, eine perfekte Leinwand.“
Der Douro, Fluß aus Gold.
von Katrin Mimi Parmentier | Sep 17, 2021 | Reisen
(Dieser bearbeitete Text erschien im „ADAC Reisemagazin“)
Lisa heißt die Kräuterhex von der Bettmeralp. Bloß, dass Kräuterhexen heutzutage aussehen, als könnten sie im Schweizer Parlament sitzen. Kurzhaarschnitt, Ringelshirt, Ohrstecker. Na gut, macht ja nichts. Viel wichtiger: Was tut eine Kräuterhex’ heutzutage denn so? „Naja, wahrscheinlich dasselbe wie im Jahr 1812. Ich sammle, trockne und verarbeite Kräuter, ich koche, mache Salben, erfinde neue Salate und Suppen.“ „Und überhaupt“, fährt Lisa fort: „Esst Knoblauch und Bibernell, dann sterbt ihr nicht so schnell.“ Merksprüche, das steht fest, gibt’s hier fast so viel wie dreiblättrige Kleeblätter.
„Meine Kräuter“, sagt Lisa und packt ihre ganze Zuneigung in die Worte „sind ein Rundumlebenspaket“. „Kräuter verfeinern jedes Gemüse, jeden Auflauf. Sie heilen und duften. Und oft werden sie unterschätzt.“ Lisa hat Phytotherapie, Kräuterheilkunde, studiert, organisiert Lehrgänge und betreibt ein Mini-Restaurant mit drei Tischen.
Dieser Landstrich lebt seit Jahrhunderten von Kräutern, atmet Arnika, Kamille und Eisenkraut. Die Firma Ricola baut ganz in der Nähe der Bettmeralp auf riesigen Werks-Feldern die Zutaten für ihre Bonbons an, mischt seit 83 Jahren die gleichen dreizehn Kräuter – Spitzwegerich, Eibisch, Pfefferminze, Thymian, Salbei, Frauenmantel, Holunder, Schlüsselblume, Schafgarbe, Bibernell, Ehrenpreis, Malve und Andorn. Fügt ordentlich Zucker hinzu und voila: das Kräuter-Bonbon ist fertig.
Wer Kräuter verstehen lernen will, der kann natürlich ein paar Süßigkeiten lutschen. Besser aber ist es, richtig früh aufzustehen und an einem Tag im Sommer mit Lisa und einem Weidenkorb um den Bettmersee zu laufen – den Blick gen Boden gerichtet.
Ein Mann in Arbeitshose schlägt Pflöcke in die Erde, sieht uns und schiebt den Hut in den Nacken: „Griaßts Eich, griaß di Lisa!“ „Servus Willi!“ sagt Lisa und zu uns gewandt: „Das ist der Willi, unser Viehtreiber, den kennt jeder im Dorf.“ Es ist ein bisschen wie im Heimatfilm. Gleich müsste O.W. Fischer um die Ecke biegen oder wenigstens der Bergdoktor. Aber es bleibt beim Willi – der ist bärtig und ziemlich lustig. Lässt sich gerne zum Mittagessen einladen. Aber vorher sammeln wir Schafgarbe, Rotklee, Brennnessel, Augentrost und Rauschbeeren. Und unter einer Bank stöbert Lisa den kerzenförmigen Hustenschreck Breitwegerich auf. „Der wächst im Schatten am liebsten.“ Aber verstecken gilt nicht.
Lisas Haus liegt in der Ortsmitte und für die Jause wird ein Holztisch im Garten frei geräumt. Neben Salat, Thymianbutter, Speck und Brot kommt ein Stövchen zum Einsatz auf dem nebenbei eine Creme aus Schafgarbe, Sheabutter und Bienenwachs köchelt – gegen rissige Haut. Das Chalet ist randvoll mit Eingelegtem, Eingemachtem, überal stehen Pulver und Tinkturen. Hunderte Schraubgläser und Dosen. In Regale geschlichtet, auf dem Boden gestapelt. Durch die Fenster strahlt Mittagssonne. Blick ins Tal, Richtung Bettendorf. Darüber die Walliser Alpen. Der Alphubel, die Mischabelgruppe, gewaltige Viertausender mit dem höchsten Berg auf Schweizer Boden, dem Dom.
Die Bettmeralp ist Heidiland, ein Bergparadies. Keine Zäune oder Ziergärten. Die Wiesen rund um die Chalets werden von Schafen und Kühen kurz gehalten, die Straßen sind leer, ab und zu bimmelt eine Fahrradglocke. „Freestyle“, nennt Lisa das Dörflerleben. Gegen Exzentriker hat keiner was – im Gegenteil. Dorf-Friseurin Pia modelliert ihren Kunden gern vogelwilde Frisuren. Wie neulich, als sie Lisas Haare raspelkurz schnitt und nur oben ein paar Strähnen stehen ließ. Lisa zuckt die Schultern: „Mach mal, hab ich gesagt.“
Auch in Lisas Küche kommen Außenseiter zu Ehren, die woanders entnervt aus dem Boden gerissen werden. Neben dem Heimgärtner-Schreck Giersch („Der schmeckt gut! Angebraten wie Spinat!“) hat es Lisa vor allem der Alpenampfer angetan. „Die Bauern hassen ihn, weil er so riesig wird, die Kühe fressen ihn nicht und deshalb hassen ihn die Bauern noch mehr.“ Aber Lisa hat Rezepte aus dem 16. Jahrhundert entdeckt, die den Ampfer ähnlich wie Mangold blanchieren, in Butter dünsten und mit Zwiebeln abschmecken. „Und aus den Stängeln mache ich eine Art Rhabarberkompott.“ Die kindskopfgroßen Ampfer-Blätter (früher auch begehrt als, ähem, Toilettenpapier) besitzen dazu eine kühlende Wirkung. Die wird im Dorfladen genutzt: Eingerollte Butterstücke bleiben so länger frisch. Sogar die Samen werden angeröstet und über Salat gestreut – nichts in der Kräuterküche wird je verschwendet.
Biomüll? Was ist das denn?
PS: Übrigens haben auch synthetisch anmutende Leckereien oft natürliche Wurzeln. So heißt „Marshmallow“ übersetzt „Sumpf-Malve“, und der Eibisch – am Bettmersee wie auch im Ricola-Bonbon zuhause – ist so ein Malvengewächs. Aus Eiweiß, Zucker und der klebrigen Eibischwurzel rührten französische Patissiers Mitte des 18. Jahrhunderts eine weiße Paste namens „Páte De Guimauve“ zusammen – es war der Vater unserer zuckersüßen Kalorienbömbchen „Mäusespeck“.
von Katrin Mimi Parmentier | Sep 17, 2021 | Veröffentlichungen
Tradition
von Katrin Mimi Parmentier | Sep 17, 2021 | Reisen
(Dieser bearbeitete Text erschien in „DONNA“)
Gelandet. Das Gepäck ist da. Wir sitzen vor dem eierlikörfarbenen Flughafen von Curacao auf unseren Koffern und atmen Karibikluft. Die Schuhe, auf Münchner Beton noch essentiell, sind überflüssig. Schnell die Sandalen rauskramen, die Palmen (ah!) registrieren und: Ausatmen.
Wenn wir eines lernen auf dieser Insel mit dem berühmten Namen: Eile bringt nichts, Ausatmen hilft immer. Das, oder ein kleiner Snack.
Irgendwann kommt Charla, unsere Curacao-Guide, dann doch. Ihr kleiner Wagen ist auf 17 Grad gekühlt wie ein eisiger Schluck Gin. Die Menschen auf Curacao lieben ihre Klimaanlagen, Wettbüros, Snackbuden – und die Farbe Rosa. Nicht nur wegen der einheimischen Flamingos. Darüber klärt uns Charla – komplizierte Flechtfrisur, blaues Kostüm – während der Fahrt auf.
Curacao ist die größte Insel der ehemaligen Niederländischen Antillen, seit 2005 quasi unabhängig, gehört sie aber noch zum Niederländischen Königreich. Eine beschwipst wirkendes 444-Quadratkilometer-Refugium voll pastellfarbener Häuser und Puderzuckerstrände.
Charla fährt langsam. Keiner wagt außerhalb der Stadt mehr als 70 Stundenkilometer. Lieber nicht zu schnell.
Charla wurde im nahen Surinam geboren, spricht die hiesige Landessprache Papiamentu, dazu Holländisch, Spanisch und Englisch. Sie erzählt von ihren sechs Hündchen Chichi, Fendy, Pearly, Missi, Gigi und Puffy und von ihrer Band. Die muss gut sein, denn Charlas Stimme klingt schon beim Sprechen nach Amy-Winehouse-Volumen. “Sitzt ihr bequem?” “Yes Ma’am!”
Erstes Ziel ist die Nord-Westküste, auch bekannt als Sportscoast. Rund um die Stadt Westpunt leben vor allem Surfer-Dudes, Athletinnen und Wassersportler. Hier ist Curacao Bewegungsparadies. Und ziemlich leer. Wellen verebben an einsamen Stränden, der Sonnenuntergang funkelt und danach lädt der Mond und zum “paddling under the stars” ein. So nennt es zumindest Pram. Auf einem Surfbrett sitzend paddelt der höfliche Hippie durch das tiefschwarze Wasser und setzt sich dann zu uns.
„Hier kann man alleine sein. Wenn man will auch jahrelang“. Pram kam vor über 20 Jahren zum Urlaubmachen aus Holland und hat seitdem den Flughafen nicht mehr gesehen. Er besitzt eine Holzbude, vor seiner Tür wachsen gelbe Beeren. Salz und Wind verkrusten die Fensterläden.
Als Tourist kommt man hierher zum Kite-Surfen, Windsurfen, Segeln, oder man bucht Bootsausflüge. Für Anfänger werden erste Surfkurse geboten, aber es macht auch Spaß, die Strandartisten erst mal nur von einer der Beach-Bars zu beobachten.
“Ein Amstel bitte!” Das niederländische Bier wird überall getrunken. Und Bier macht hungrig.
Also chauffiert Charla uns wieder quer über die Insel in die Hauptstadt Willemstad und dort zum hyperaktiven Mambo Beach.
Hier spielt man Beach-Tennis und trifft sich zum Barbeque. Kleine Buden säumen die Promenade, es gibt Dreadlocks to go, Silberschmuck und Strandkleider.
Heute, am Samstag, ist ein karibischer Foodmarket aufgebaut. Charla empfiehlt: würzige Relishes und Pickles. Was an Baum und Strauch wächst – hier wird es eingelegt: Jalapenos, Okra-Schoten, kugelrunde Chilis. Am besten geht “Komkomber Chiki”, ein Relish aus westindischen Gurken. Daneben glitzert aromatisiertes Meersalz, eben vor Ort geerntet. Das Food-Kollektiv “Flavors of Curacao” wirbt für sein gleichnamiges Festival mit über 30 Restaurants das jedes Jahr im Herbst stattfindet.
Angesagt ist gerade Coffee in a Cone, also Milchschaumkaffee im Waffelhörnchen, Brutzelbuden bieten kreolisches Schmorlamm, Muscheln in fruchtigem Salsa oder Lionfish-Burger aus Fisch und roten Zwiebeln.
Der Lionfish (deutsch: Feuerfisch) darf zwar nicht mehr mit Speeren gejagt werden, gefährdet aber durch Überpopularisierung die Korallenriffe und darf deshalb gegessen werden. In Willemstad sehen wir später Sticker, die werben: “Save the reef, eat lionfish”.
Wir sind pappsatt und faul, aber einen wichtigen Geheimtipp hat Charla noch. Wir fahren raus aus der Stadt, vorbei an Zuckerrohrplantagen, Kakteen und großen Bannern, die für “Robbies Lottery” werben. Dieser Robbie, erzählt Charla, sei inzwischen einer der reichsten Männer der Insel.
Und während wir noch überlegen, wie man auf Curacao eine private Lottogesellschaft aufziehen könnte, verheddert sich Charla fluchend in einer Sackgasse, wendet, dreht um, flucht erneut und findet dann doch die versteckte Auffahrt, an deren Ende die Künstlerin und Köchin Evelien Sipkes lebt.
Evelien Sipkes in ihrem Atelier
In ihrem Garten aus Palmen, Aloe-Vera und Bougainville tummeln sich Echsen und weiße Teekannen hängen in den Bäumen wie bei Alice im Wunderland. In einem offenen Atelier fertigt Evelien komplizierten Schmuck aus Keramik, Fäden, Holz und winzigen Fundstücken. Oder sie serviert Lunch mit amüsanten Ess-Geschichten an einem besonders großen Tisch. Sie nennt das “table d’hote” (wörtlich: Tisch des Gastgebers): ob fleischhaltig, vegetarisch oder glutenfrei – das ordern die Gäste, oft auch Touristen, vorab, jeder einzeln.
Heute bereitet Evelien Keshi Yena zu, ein deftiges Gericht aus Huhn, Gemüse, Rosinen, Oliven und Käse. Als private chef kommt sie auch in Ferienappartements oder Hotels mit Kochgelegenheit, mit all ihren Zutaten und Geschirr. Sie ist eine phantasievolle, geduldige Ausnahmekönnerin – ihre Gerichte jedenfalls sind nicht von dieser Welt. Zum Schluss wird als Digestiv serviert: Der berühmte Curacaolikör, aromatisiert mit Schalen von Bitterorangen. Und psst: Mit dem “Blue Curacao” aus Ihrem Supermarkt hat der hier vor Ort so viel zu tun wie ein wilder Feuerfisch mit einer eingelegten Sardine.
Fotos: Joerg Koch
von Katrin Mimi Parmentier | Sep 13, 2021 | Veröffentlichungen
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von Katrin Mimi Parmentier | Jun 2, 2021 | Uncategorized
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von Katrin Mimi Parmentier | Mrz 27, 2021 | Geschichten
So ein frecher Hund, das gibt’s ja gar nicht, sagt der Mann im Aufzug und versteckt seine Knöchel vorsichtshalber hinter zwei Einkaufstüten. Ist das überhaupt ein Hund? Na, da kennt er Loki schlecht. Siebenmal musste sie den Tütenmann verbellen, damit der nun auch Bescheid weiß.
Überhaupt: unser Aufzug. Den darf nur betreten, wer sich Hosenbeine oder Pumps ausgiebig beschnuppern lässt. Slipper mit Troddeln über weißen Socken sollte meiden, wer mit Loki den Lift teilen will. Die mag sie nämlich überhaupt nicht. Und andere Hunde im Lift sowieso nicht. Richtige Kämpfe werden da ausgetragen. Hält der Aufzug in einem Stockwerk wo eine Frau mit Zwergpudel zusteigen will, knurrt Loki grimmig, und die Frau drückt ihren Pudel an sich und flüstert: „Ich nehm’ den nächsten, wenn’s recht ist“. Sieg: Loki.
Und weil ihr so schön langsam ein Ruf wie Donnerhall vorauseilt, gibt es inzwischen sogar einen Herrn, der vorsorglich droht: „Mit diesem Hund fahr ich nicht.“ Viel Feind, viel Ehr. Das gilt wohl auch im und ums Hochhaus.
Ringsherum kennt nämlich jeder den Zausel mit der großen Klappe, und die Nachbarschaft benimmt sich entsprechend. Je nach Temperament. Beim Obstmann gibt’s einen sanften Tätscherer und nette Worte, dafür wird auch nie an seine Hauswand gepinkelt. Vor der Bäckerei dagegen wird zwei Minuten später ein Riesentrara veranstaltet, denn rein darf sie nicht. Also kläfft Loki und die Übersetzung ist nicht schwer: Hey, ich bin hier angebunden, vergiss mich nicht! Vergiss mich nicht! Vergiss mich nicht! Vergiss… naja, und so weiter. Hunde sind ja ausdauernde Beller. Gut, dass die blonde Bäckerin eine liebe Frau mit großem Herz ist und der Radautüte zuverlässig Salamischeiben zusteckt. Blitzschnell ist Loki versöhnt, sogar mit dem dämlichen Angebunden sein.
Das muss verstehen, wer sich eine Hündin zulegt: Unser Kiez ist nun ihr Kiez ist ihr Reich und sie die Queen. Ja, sie würde sogar mit der Pfote winken, wäre das nur möglich.
Stattdessen knabbert sie gnädig gestiftete Leckerlein und zwickt knatternde Bauarbeiter in ihre orangefarbenen Beine. Der hat hier nicht rumzuknattern, schon gar nicht in Orange. Dazu muss man wissen: Orange ist für Loki ein No Go. Da ist sie wie Anna Wintour.
Stadtarbeiter, Bauarbeiter und Müllmänner leben gefährlich in Lokiland. Bloß lassen sich die wuchtigen Kerle von dem kleinen Gernegroß nicht terrorisieren. Hier ein schneller Tritt und da ein Hieb mit dem Schaufel-Ende. Weil aber der Köter so klein und deshalb so wendig ist, treffen sie ihn nie, werden rot im Gesicht und zetern: „Verdammte Mistkröte, Hühnerdieb, Zeckenspender…“ Was ihnen eben so einfällt. Vor allem der kugelrunde Steinleger ist ein Meister der bösen Worte. „Fußhupe“ schimpft er, „Terrortöle“. Loki aber lässt’s kalt, sie versteht sowieso nur „Gsjhkgdsjakdfazf“ oder so was ähnliches. Und um die Ecke hat sie längst etwas Neues, Aufregenderes entdeckt. Manchmal sieht sie – ich schwöre es – so dynamisch aus, als hätte sie unaufschiebbar dringend Warentermingeschäfte zu erledigen. Rufe ich sie dann im falschen Moment, guckt sie wie Gordon Gekko nach einem Aktiencrash. „Stör mich jetzt nicht, Mann“ sagt ihr strenger Blick und ich folge zerknirscht.
Es müssen schließlich noch (Hunde-)Freunde begrüßt und Feinde niedergestreckt werden. Wobei Loki einen nicht wirklich edlen Charakter hat: Widersacher sind grundsätzlich Hunde, die noch viel kleiner als sie selbst sind. Pinscher, Chihuahua, Pekinese. Und tragen sie auch noch Schleifen im Haar wird ihnen barsch ins Ohr gezwickt. „Bist du ein Hund oder ein Sofakissen?“.
Kurz: Loki, 4,8 Kilo, regiert das Viertel je nach Tagesform wie ein hysterischer Kim Jong-il oder ein mildtätiger Prinz William. Und wann immer ich Hunde mit diesen kleinen Jäckchen sehe, denke ich, dass für Loki nun auch endlich das passende Stöffchen her muss: Eine nietenbeschlagene Weste mit AC/DC-Aufnäher, Fransen und dem warnenden Emblem: „Hell’s Hündchen“.
von Katrin Mimi Parmentier | Feb 23, 2021 | Reisen
Yoga? Bewegen? Turnen?
Ach nö, lieber nicht. Und ich weiß, wer von Yoga spricht, soll nicht „Turnen“ sagen. Aber so kam es mir vor. Wie eine lange Turnstunde auf einer schmalen Matte.
Nun geht es aber Seele und Körper nicht immer blendend, und als ich vor einiger Zeit in eine mittelüble Krise schlitterte, fiel mir dieses Dingens, dieses „Yoga“, wieder ein.
Eine Freundin brachte mich auf das „Ilios Center“ und die „DONNA“ wollte einen Bericht. Darüber, wie ich mich eine Woche lang nur um sich selbst kümmere und dabei die Wirbelsäule verdrehe.
Um es kurz zu machen: Das Ganze ging gut aus und Zweifler können hier nachlesen, warum Yoga nicht durchgeistigt sein muss, dass man dabei ein „Dolly von der Burg“-Gefühl entwickeln kann und keine Sweatpants von Gucci braucht.
(Dieser bearbeitete Text erschien in „DONNA“)
Das erste Mal: Yoga
Ich hatte es probiert. Theoretisch.
Ich hatte Freundinnen zum Yoga gefahren, Freundinnen vom Yoga abgeholt, mich am Eingang über Buddhafiguren, atmungsaktive Leibchen und Duftöle im Sonderangebot informiert und festgestellt, dass jetzt nur noch Yoga-Heizdecken fehlen.
Ich war interessiert, durchaus Hüftgold-beladen, aber noch halsstarrig.
Mein Mantra: Später.
Mein Schicksal: Später kommt früher als man denkt.
Denn zu diesem Jahresende steckte ich in einer Krise.
Das alte Jahr hatte so schaurig aufgehört wie das neue enden würde. Wenn das so weiterging.
Freunde, Dispos und Aufträge im freien Fall. Iirgendwann traute ich mich nicht mehr ans Telefon zu gehen.
Es war sowieso immer Frau Berger vom Finanzamt dran.
Raus aus der Krise
Innerlich verkarstet steuere ich also auf die große Leere zu: Burn Out. Dieser Begriff wurde übrigens schon 1974 von dem deutsch-amerikanischen Psychiater Herbert Freudenberger ins Spiel gebracht. Er unterschied dabei die zwölf Stufen des Ausbrennens bis hin zum endgültigen Zusammenbruch.
Ich pendele mich – nehme ich an – momentan bei zehn ein.
„Du musst dich entspannen“, mahnen die letzten Freunde.
Und weil das Internet zum Stichwort „Entspannung“ Trillionen Einträge liefert, verlasse ich mich lieber auf einen ihrer Tipps. Eine Reise in die Tiefenentspannung in einem griechischen Resort. Im “Ilios”-Center testet man sich durch die Spielarten der inneren Ruhe: Tai Chi, Qigong, Meditation, Trance, Tanz, Massage und Malerei. Und zur Krönung soll ein Yoga-Kurs letzte Verspannungen lösen.
Na bitte.
Gästebungalows im Ilios-Center
Was, kein Dessert?
Erster Eindruck: Hübsch. Das Ilios-Center liegt in der Abenddämmerung, es stehen 36 strahlend weiße Terrassenappartements bereit, 30 Gäste sind angereist, vor allem Frauen, und die Parkanlage breitet sich zwischen dem Fährhafen von Igoumenitsa und dem Städtchen Perdika an der griechischen Westküste aus.
Auf der Terrasse mit Blick auf Wellen und Nachthimmel wird noch schnell ein Willkommenssalat serviert (was, kein Dessert?), danach ist Bettruhe. Meine Gedanken vor dem Einschlafen gelten einer eingebildeten Gastritis, einer Tafel Noisette und Frau Berger.
Ich burne immer noch aus, das spüre ich. Es knistert zwischen den Magenwänden.
Am nächsten Morgen aber kann ich nicht anders. Ich muss lächeln.
Das „Center“ entpuppt sich bei Tageslicht als Paradies aus Bougainville-Blüten, Lavendelduft plus Sonnenschirmen mit Pool.
Und anders als beim Dinner gibt es schon zum Frühstück eine Art Dessert: Saftige Honigbällchen von Chefkoch Jannis.
Beilagen: Eine sonnengeflutete Yogahalle mit Küstenblick, Pinien und Olivenhaine.
Der Strand ist nur einen Kirschkernspucker entfernt, mit vielen einsamen Buchten, die alle „Secret Beach“ heißen.
Willkommen
Der Garten Eden…
…muss so ähnlich ausgesehen haben. Wobei die Schlange Adam und Eva hier zu Lotussitz und Sonnengruß verführt hätte, und alles wäre in Butter gewesen für die Menschheit.
Es geht los. Noch vor dem Frühstück renkt sich die Yoga-Gruppe ein.
Mein erster Kontakt mit dem Turn-Trend (so nenne ich Yoga in meinem gehässigen Kopf noch immer) war zugegeben: angenehm. Weder werde ich in einen Kopfstand gezwungen noch wird die Heizung auf vierzig Grad hochgejubelt. Die spektakulär angenehme Yoga-Lehrerin Tanja glaubt mir sogar, dass meine Arme „wirklich viel zu kurz“ sind, um bei durchgestreckten Beinen die Hände auf den Boden zu legen. „Vielleicht ist das ja so bei Dir“, sagte sie und lächelt allwissend. Tanjas Stimme ist sanft wie ein Kissen. Streichelt dort, wo Hände nicht hinkommen und schon nach kurzer Zeit zwinge ich mich morgens um sechs aus dem Bett um diese Stimme nicht zu verpassen. Dazu passend: ihr Look. Tanja ist das Gegenteil einer schicken Großstadt-Yogi: ungeschminkt, weite Hosen und braungebrannte Füße, die bestimmt nie einen Stiletto von innen gesehen haben.
Viel kann man sich von ihr Abgucken. Die langsamen, ausgeruhten Bewegungen, Muße und Umsicht. Und dass sich auf den fünfzehn Matten vor ihr neben Anfängerinnen auch ausgebildete Yogalehrerinnen verrenken, ist erstaunlich.
Tanjas ausgeklügeltes Programm bringt alle gleichsam ins Schwitzen und ein bisschen weiter.
Am Montag lerne ich die Wirbelsäule „wie eine Perlenschnur“ in Zeitlupe abzulegen und drehe mich irgendwie seltsam zur Seite („das Krokodil“), am Dienstag atme ich prustend durch die Nase (pfft, pfft, pfft, „Feueratem“), sitze kerzengerade mit verschränkten Beinen („Diamantsitz“) und mache schon am Mittwoch „den Hund“, eine enorm entspannende Räkelart.
Hunde wissen, was gut tut.
Blick von oben auf die Bucht.
Dolly auf der Burg
Schon vor 3500 Jahren, so alt ist Yoga nämlich vermutlich, haben frühe Yogis die Bewegungen der Tiere studiert und nachgeahmt. Das erzählt Tanja in einer Theoriestunde und schreibt auf ihr Flipboard: „Yoga als Geisteswissenschaft“. Das mag öde klingen, aber wir hören gespannt zu und lachen viel. Von wegen durchgeistigt.
Einmal wetten wir am Morgen um ein paar Münzen, wie viele Dreadlocks Tanja auf dem Kopf hat. Marlen aus der Schweiz zählt mit Erlaubnis nach – es sind 78. Ich verliere haushoch.
Es wird ein bisschen wie bei „Dolly auf der Burg“. Wir Yogadamen sitzen kichernd im Gras, machen Tai Chi am Strand und trinken Cappuccino. Schnell kenne ich die Lebensgeschichten von Vera aus Berlin, Hannah aus dem Bergischen Land, Marlen aus St. Moritz und Petra aus Köln. Dass wir alle eine Extrarunde Entspannung nötig haben, ist klar.
Eine hat gerade eine harte Krankheit hinter sich, andere knabbern an Scheidungen und sonstigen kleinen und großen Krisen.
Im echten Leben sind sie Psychotherapeutin in Frankfurt, Arzthelferin in Tirol und Fluglotsin in Bayern. Kosmetikerin Sabine erzählte von zickigen Botox-Ladies und unterbesetzten Nagelstudios und ausgerechnet die beiden ältesten Frauen in der Runde entpuppen sich als biegsame Bewegungswunder. Dolly mit Dehnungsstreifen.
Ich lerne: So ein Yoga-Center muss nicht esoterisch sein und auch kein dogmatischer Ashram, in dem Yoginis tadelnd fragen: „Was, du guckst NETFLIX?“
Nein, hier wird von Berliner Eisbein geschwärmt, werden Modetrends diskutiert und nicht befolgt, Reality-TV besprochen und ganz und gar weltliche Büchertipps ausgetauscht. Ich empfehle „American Psycho“. Bisschen Gruselausgleich nach all der Harmonie.
Auch im Angebot: Malen im Kunstzimmer
Wer ist noch mal Frau Berger?
An einem der heißesten Tage unternehmen wir dann den letzten Ausflug. Das Städtchen Parga stellt Holzboote, Steintreppen, verschachtelte Häuser, Boutiquen und Strandcafes malerisch zur Schau.
„Können wir nicht hierbleiben?“, fragt Hannah.
Am Freitag Abend sitzen wir bedripst ein letztes Mal auf der XL-Terrasse, tauschen Adressen und verdrücken ein paar Tränen.
„Es kam uns vor wie eine lange Zeit, so schön war das“, seufzt der Chor der Heimfahrer.
Tschüss, sanfte Stimme, tschüss, ihr alterslosen Dollygirls. In der letzten Nacht kreisen meine Gedanken vor dem Einschlafen dann auch zielführend um die Honigbällchen von Jannis, das gute Gefühl in meinem Bauch und den Duft von Lavendel. Wer ist noch mal Frau Berger?
Letzte Sonennuntergangsanbetung auf der Terrasse
PS: Bevor ich mich wieder in den Sonnengruß werfe, noch ein paar Informationen zu Yoga-Lehrerin Tanja Seiler: Vor vielen Jahren landete sie über etliche Umwege (Freiburg-Kurdistan-Pakistan) in Indien und ging dort bei einem Yogi in die Lehre.
Sie lebte lange in einer Höhle mitten im indischen Nirgendwo und ihr Meister in der Höhle darüber. Zurück in Deutschland unterfütterte sie seine Praxis-Lehren mit einem Philosophie- und Indologie-Studium. In Freiburg leitet sie heute ihr eigenes Yoga-Zentrum. Im Institut für Yoga man sie besuchen. Und buchen.
Dir Frau zur Stimme: Yogalehrerin Tanja Sailer in Griechenland.
Mehr über das Center gibt es hier:
www.ilios-center.com