(Dieser bearbeitete Text erschien in „DONNA“)
Gelandet. Das Gepäck ist da. Wir sitzen vor dem eierlikörfarbenen Flughafen von Curacao auf unseren Koffern und atmen Karibikluft. Die Schuhe, auf Münchner Beton noch essentiell, sind überflüssig. Schnell die Sandalen rauskramen, die Palmen (ah!) registrieren und: Ausatmen.
Wenn wir eines lernen auf dieser Insel mit dem berühmten Namen: Eile bringt nichts, Ausatmen hilft immer. Das, oder ein kleiner Snack.
Irgendwann kommt Charla, unsere Curacao-Guide, dann doch. Ihr kleiner Wagen ist auf 17 Grad gekühlt wie ein eisiger Schluck Gin. Die Menschen auf Curacao lieben ihre Klimaanlagen, Wettbüros, Snackbuden – und die Farbe Rosa. Nicht nur wegen der einheimischen Flamingos. Darüber klärt uns Charla – komplizierte Flechtfrisur, blaues Kostüm – während der Fahrt auf.
Curacao ist die größte Insel der ehemaligen Niederländischen Antillen, seit 2005 quasi unabhängig, gehört sie aber noch zum Niederländischen Königreich. Eine beschwipst wirkendes 444-Quadratkilometer-Refugium voll pastellfarbener Häuser und Puderzuckerstrände.
Charla fährt langsam. Keiner wagt außerhalb der Stadt mehr als 70 Stundenkilometer. Lieber nicht zu schnell.
Charla wurde im nahen Surinam geboren, spricht die hiesige Landessprache Papiamentu, dazu Holländisch, Spanisch und Englisch. Sie erzählt von ihren sechs Hündchen Chichi, Fendy, Pearly, Missi, Gigi und Puffy und von ihrer Band. Die muss gut sein, denn Charlas Stimme klingt schon beim Sprechen nach Amy-Winehouse-Volumen. “Sitzt ihr bequem?” “Yes Ma’am!”
Erstes Ziel ist die Nord-Westküste, auch bekannt als Sportscoast. Rund um die Stadt Westpunt leben vor allem Surfer-Dudes, Athletinnen und Wassersportler. Hier ist Curacao Bewegungsparadies. Und ziemlich leer. Wellen verebben an einsamen Stränden, der Sonnenuntergang funkelt und danach lädt der Mond und zum “paddling under the stars” ein. So nennt es zumindest Pram. Auf einem Surfbrett sitzend paddelt der höfliche Hippie durch das tiefschwarze Wasser und setzt sich dann zu uns.
„Hier kann man alleine sein. Wenn man will auch jahrelang“. Pram kam vor über 20 Jahren zum Urlaubmachen aus Holland und hat seitdem den Flughafen nicht mehr gesehen. Er besitzt eine Holzbude, vor seiner Tür wachsen gelbe Beeren. Salz und Wind verkrusten die Fensterläden.
Als Tourist kommt man hierher zum Kite-Surfen, Windsurfen, Segeln, oder man bucht Bootsausflüge. Für Anfänger werden erste Surfkurse geboten, aber es macht auch Spaß, die Strandartisten erst mal nur von einer der Beach-Bars zu beobachten.
“Ein Amstel bitte!” Das niederländische Bier wird überall getrunken. Und Bier macht hungrig.
Also chauffiert Charla uns wieder quer über die Insel in die Hauptstadt Willemstad und dort zum hyperaktiven Mambo Beach.
Hier spielt man Beach-Tennis und trifft sich zum Barbeque. Kleine Buden säumen die Promenade, es gibt Dreadlocks to go, Silberschmuck und Strandkleider.
Heute, am Samstag, ist ein karibischer Foodmarket aufgebaut. Charla empfiehlt: würzige Relishes und Pickles. Was an Baum und Strauch wächst – hier wird es eingelegt: Jalapenos, Okra-Schoten, kugelrunde Chilis. Am besten geht “Komkomber Chiki”, ein Relish aus westindischen Gurken. Daneben glitzert aromatisiertes Meersalz, eben vor Ort geerntet. Das Food-Kollektiv “Flavors of Curacao” wirbt für sein gleichnamiges Festival mit über 30 Restaurants das jedes Jahr im Herbst stattfindet.
Angesagt ist gerade Coffee in a Cone, also Milchschaumkaffee im Waffelhörnchen, Brutzelbuden bieten kreolisches Schmorlamm, Muscheln in fruchtigem Salsa oder Lionfish-Burger aus Fisch und roten Zwiebeln.
Der Lionfish (deutsch: Feuerfisch) darf zwar nicht mehr mit Speeren gejagt werden, gefährdet aber durch Überpopularisierung die Korallenriffe und darf deshalb gegessen werden. In Willemstad sehen wir später Sticker, die werben: “Save the reef, eat lionfish”.
Wir sind pappsatt und faul, aber einen wichtigen Geheimtipp hat Charla noch. Wir fahren raus aus der Stadt, vorbei an Zuckerrohrplantagen, Kakteen und großen Bannern, die für “Robbies Lottery” werben. Dieser Robbie, erzählt Charla, sei inzwischen einer der reichsten Männer der Insel.
Und während wir noch überlegen, wie man auf Curacao eine private Lottogesellschaft aufziehen könnte, verheddert sich Charla fluchend in einer Sackgasse, wendet, dreht um, flucht erneut und findet dann doch die versteckte Auffahrt, an deren Ende die Künstlerin und Köchin Evelien Sipkes lebt.
In ihrem Garten aus Palmen, Aloe-Vera und Bougainville tummeln sich Echsen und weiße Teekannen hängen in den Bäumen wie bei Alice im Wunderland. In einem offenen Atelier fertigt Evelien komplizierten Schmuck aus Keramik, Fäden, Holz und winzigen Fundstücken. Oder sie serviert Lunch mit amüsanten Ess-Geschichten an einem besonders großen Tisch. Sie nennt das “table d’hote” (wörtlich: Tisch des Gastgebers): ob fleischhaltig, vegetarisch oder glutenfrei – das ordern die Gäste, oft auch Touristen, vorab, jeder einzeln.
Heute bereitet Evelien Keshi Yena zu, ein deftiges Gericht aus Huhn, Gemüse, Rosinen, Oliven und Käse. Als private chef kommt sie auch in Ferienappartements oder Hotels mit Kochgelegenheit, mit all ihren Zutaten und Geschirr. Sie ist eine phantasievolle, geduldige Ausnahmekönnerin – ihre Gerichte jedenfalls sind nicht von dieser Welt. Zum Schluss wird als Digestiv serviert: Der berühmte Curacaolikör, aromatisiert mit Schalen von Bitterorangen. Und psst: Mit dem “Blue Curacao” aus Ihrem Supermarkt hat der hier vor Ort so viel zu tun wie ein wilder Feuerfisch mit einer eingelegten Sardine.
Fotos: Joerg Koch